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Männer helfen Jungs, „cool“ zu sein

[Augsburger Allgemeine, 1-10-2010]

Bobingen In dem Projekt „Coole Jungs“ an der Laurentius-Volksschule Bobingen lernen Buben, was es wirklich heißt, „cool“ zu sein: gute Gespräche, fairer Kampf. Dafür gibt es viel Lob von Trainer Mike Wilson und Lehrer Peter Schütt. Das macht selbstbewusst. Und Selbstbewusstsein ist cool. Das Projekt der St. Gregor-Jugendhilfe zur Jungenpädagogik wird fortgesetzt.

Die Überlegung dahinter: Kleine Jungen wollen Aufmerksamkeit, große Jungen wollen cool sein. Beide setzen auf Strategien wie Durchsetzungsvermögen, Leistung und Selbstständigkeit. Das ist „cool“ und bringt Aufmerksamkeit. Wo diese Strategien nicht greifen, bedient sich mancher Junge einer anderen: Probleme machen. Denn Problemverursacher bekommen Aufmerksamkeit - wenn auch negative. Sozialpädagogin Rosemarie Langhammer von der St. Gregor-Jugendhilfe stellt fest: „Jungs fallen durch Störungen, Aggressivität und beharrliches Übertreten von Regeln überdurchschnittlich häufiger auf als Mädchen.“

Als Jugendsozialarbeiterin hat sie das Gewaltpräventions-Projekt „Du und ich“ in der Laurentius-Volksschule in Bobingen eingeführt, bei dem es um Verhaltensregeln und deren Einhaltung im Schulgebäude und während der Pausen ging. Dabei war ein Ergebnis, dass es mit Jungen mehr Schwierigkeiten gibt. „Die sind immer gut drauf, sie sind Clowns oder einfach ,nur cool‘“, so Rosemarie Langhammer. Diese Erkenntnis wurde von der Schulleiterin Waltraud Goers, dem Grundschullehrer Peter Schütt und der Sozialpädagogin Rosemarie Langhammer sehr ernst genommen.

Buben werden meist von Frauen erzogen

Deshalb wurde ein zwölfwöchiges Projekt aus dem Bereich der Jungenpädagogik durchgeführt, zunächst finanziert durch das Amt für Jugend und Familie (Landratsamt). So konnte Peter Schütt erstmals gemeinsam mit dem in Jungenpädagogik besonders erfahrenen Sozialpädagogen Michael „Mike“ Wilson das Projekt „Coole Jungs“ anbieten: Einmal wöchentlich für 90 Minuten konnten zehn Jungen an einer Jungengruppe teilnehmen.

Und weil sie damit so gute Erfahrungen gemacht haben, wird die Laurentius-Schule mit Peter Schütt „Coole Jungs“ ab 8. Oktober in Eigenregie fortsetzen, punktuell unterstützt von Wilson.

„Jungs machen Probleme, weil sie Probleme haben“, sagt Mike Wilson, „vor allem mit ihrem Selbstbild.“ Die Entwicklung von Männlichkeit, also die männliche Rollenaneignung, sei schwierig, weil der kleine Junge fast nur mit Frauen - Mütter, Erzieherinnen, Grundschullehrerinnen - zu tun hat. So erfolge die Rollenaneignung per Negation: „Männlich ist, was nicht weiblich ist“.

In dem Projekt an der Laurentius-Volksschule Bobingen lernen Jungs, was es wirklich heißen soll, „cool“ zu sein. In der Gesprächsrunde dürfen Probleme benannt und Kritik geäußert werden. Dabei muss man höflich und fair bleiben. „Der Angesprochene darf zu Wort kommen und seine Sicht darstellen“, erklärt Peter Schütt.

Jungen - das neue schwache Geschlecht?

[Deutsche Welle, 10.09.2010]

Sie machen die schlechteren Schulabschlüsse und schaffen es seltener auf die Universität. Offensichtlich werden Jungen im deutschen Bildungssystem gegenüber den Mädchen benachteiligt.


Alle größeren Bildungsstudien der vergangenen Jahre belegen eine Diskriminierung der Jungen. Sie lesen schlechter als Mädchen, sind ab der achten Klasse schlechter in Mathematik, erhalten seltener eine Gymnasialempfehlung, landen häufiger auf Förder- und Hauptschulen. Während 36 Prozent der Mädchen in Deutschland Abitur machen, sind es nur 28 Prozent der Jungen. Auch der Aktionsrat Bildung, ein Expertengremium, spricht von einer eklatanten Benachteiligung von Jungen im Bildungssystem.


Was sind die Ursachen? Warum kommen Mädchen im deutschen Bildungssystem besser klar? Und wie könnten Jungen stärker gefördert werden? Unser Thema in Journal Extra.


Moderation: Günther Birkenstock


Redaktion: Nils Naumann

"Männer als Vorbilder"

[Stuttgarter Zeitung, 27.08.2010 ]

Stuttgart - Mit Jungen wird hilflos umgegangen, sagt die FDP-Politikerin Miriam Gruß. Deshalb zeigen sie oft Schwächen.

Frau Gruß, die Koalition will eine "eigenständige Jungen- und Männerpolitik" entwickeln. Bis jetzt hört man wenig davon.
Jungs sind oft Bildungsverlierer, und das wollen wir ändern. Bildung beginnt im frühen Kindesalter. Deshalb bereiten wir diesen Sommer einen gemeinsamen Antrag der Koalitionsfraktionen vor, der die Qualität der frühkindlichen Bildung verbessern soll. Im Herbst wird er vorgelegt.
Die soziale Herkunft stigmatisiert, und Frauen werden im Job schlechter bezahlt und in Führungspositionen selten gesehen. Weshalb muss man die Jungen- und Männerpolitik intensivieren?
Leider ist es so, dass gerade in Deutschland ein Zusammenhang besteht zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg. Aber wer sagt denn, dass wir uns darum nicht mehr kümmern? Auch das Thema Gleichberechtigung von Frauen soll nicht vernachlässigt werden. Aber die Jungen muss man gleichwohl verstärkt in den Blick nehmen, weil wir feststellen, dass ihre spezifischen Potenziale nicht ausreichend im Bildungssystem gefördert werden. Mädchen lesen sehr viel besser. Mädchen werden in der Regel schneller schulreif. Wir stellen fest, dass Mädchen mit persönlichem Versagen leichter umgehen, Jungen reagieren mit Frust. Der Anteil von Jungen, die eine höhere Schullaufbahn einschlagen, ist geringer. Die Mehrheit der Studierenden ist weiblich. Das kehrt sich erst um, wenn sich für Frauen die Kinderfrage stellt.
Vielleicht werden Jungen gar nicht benachteiligt, vielleicht sind sie, zugespitzt formuliert, nur dümmer und fauler als Mädchen?
Das ist Unsinn. Jungs werden oft nicht entsprechend ihren Fähigkeiten gefördert. Es ist so, dass Jungen und Mädchen unterschiedliche Herangehensweisen haben. Jungen sind oft rabaukiger, lauter, haben andere Spielformen als Mädchen.
Was brauchen Jungen, um Tritt zu fassen?
Der Bund ist da nicht in erster Linie zuständig. Bildung ist Ländersache, und deshalb brauchen wir eine Zusammenarbeit mit den Länderministerien. Wir müssen geschlechtsspezifische Unterrichtsmethoden entwickeln, die traditionelle Geschlechterrollen und Stereotypen infrage stellen. Wir brauchen Fortbildung für Erzieher und Lehrer, um auf die Bedürfnisse beider Geschlechter einzugehen. Außerdem müssen wir das Lesen der Jungen gezielt fördern. Wir brauchen einen höheren Anteil von Männern in pädagogischen Berufen, die auf ihre Geschlechtsgenossen adäquat eingehen können.
Wie wollen Sie Männer motivieren?
Das Missverhältnis liegt zum Teil an der schlechten Bezahlung. Ich bedaure das, denn die Erzieherinnen und Erzieher gehen täglich mit unseren Kindern, also mit der Zukunft Deutschlands, um. Also müssen wir mit einer besseren Ausbildung und einer adäquaten Bezahlung Anreize setzen. Es muss aber auch der Stigmatisierung, der Ausgrenzung von Männern, die sich solche Berufe aussuchen, entgegengewirkt werden. Das traditionelle Denken verortet einen Mann eben eher in einer Polizeistation als in der Krabbelgruppe. Das muss sich ändern. Wir brauchen Männer in Schulen und Kindergärten.
Es gibt kaum Beweise dafür, dass der Bildungsrückstand von Jungen auf die Vormacht von Frauen in pädagogischen Berufen zurückzuführen ist. Manche sprechen von einem Modethema. Ist es das?
Nein. Es spricht viel dafür, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Bildungsrückstand von Jungs und dem Fehlen von männlichen Vorbildern gibt. Mit verhaltensauffälligeren Jungs wird oftmals hilflos und unbeholfen umgegangen. Es wird viel zu häufig und zu schnell ADHS (Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, d.Red.) konstatiert. Die Jungs werden dann mit einer Pille ruhiggestellt. Das ist nicht die richtige Antwort auf diese Herausforderung. Das heißt nicht, dass wir die Mädchen nicht fördern müssen, wir müssen den Blickwinkel erweitern.
Unter fehlenden Rollenbildern leiden doch auch Mädchen...
Deshalb spricht viel dafür, Phasen des Unterrichts geschlechtsspezifisch abzuhalten, also Jungs und Mädchen zu trennen.
Wie soll das denn praktisch ablaufen?
Es ist zu überlegen, einzelne Unterrichtsstunden oder Themenzüge rein männlich oder rein weiblich zu unterrichten. Nun bin ich nicht dafür, eine generelle Trennung einzuführen, aber bestimmte Themen eignen sich schon dafür.
Zum Beispiel?
Es kann sinnvoll sein, beim Thema Aufklärung und Sexualität in der Pubertät die Jungs und die Mädchen unter sich zu lassen. Gegen gemeinsamen Matheunterricht spricht im Grundsatz nichts. Aber Mädchen tun sich in Mathe tendenziell schwerer, und vielleicht verstehen sie die Zusammenhänge in einer reinen Mädchengruppe besser. Sie trauen sich dann eher, Fragen zu stellen, weil ihnen das vor den Jungs peinlich wäre. Die Schulen müssen solche Formen ausprobieren können.

Bildungsbehörde sucht Grundschullehrer


[Weser Kurier, 22.07.2010]

Von Arno Schupp

Bremen. Frank Dahlenberg ist so etwas wie eine Rarität. Schon an der Universität gehörte er einer Minderheit an, und auch jetzt, im Berufsleben, gibt es nicht viele, die machen, was er macht. Frank Dahlenberg ist Grundschullehrer, einer der wenigen, muss man hinzufügen, denn die Klassen eins bis vier sind klar in Frauenhand. Und das ist aus kinderpsychologischer Sicht nicht unproblematisch.

Gerade einmal zwölf Prozent der Bremer Grundschulpädagogen sind männlich. In den Kindergärten ist die Quote noch geringer, dort sind es gerade mal drei Prozent. Für sich genommen scheint es zwar erst einmal egal, wer den Kindern bei Mathe, Bio und Deutsch auf die Sprünge hilft, oder wer ihnen beim Spielzeug-Sortieren unter die Arme greift. Doch zu der niedrigen Männerquote kommt noch eine zweite Komponente: Die hohe Zahl der allein Erziehenden.

Nach Angaben des Statistischen Landesamtes gibt es im Bremen schätzungsweise 23000 alleine erziehende Mütter. 15000 von ihnen haben ein Kind, der Rest hat zwei oder mehr Kinder. Kombiniert man diese Zahlen mit der Männer-Quote in Kindergarten und Grundschule, kann das im ungünstigsten Fall dazu führen, das Kinder bis zur vierten Klasse aufwachsen, ohne eine männliche Bezugsperson zu haben. Und das kann Folgen haben.

Männer spielen bei der Erziehung eine wichtige Rolle

Männer spielen in der Erziehung von Kindern eine wichtige Rolle, denn 'Kinder lernen ihr Sozialverhalten am lebenden Modell', sagt Claus Jacobs, Leiter der Psychologischen Kinderambulanz der Universität Bremen. Kinder können partnerschaftlichen Umgang, in dem Frauen und Männer einander mit Wertschätzung und Respekt begegnen, nur dann erleben, wenn es in ihrem Alltag auch Männer und Frauen gibt. Abgesehen davon ist die klassische Identifikationsfigur für einen Jungen der Mann, und wenn dieses Rollenvorbild in der Erziehung fehle, 'kann dies vorhandene psychologische Probleme durchaus verstärken', sagt der Kinderpsychologe.

Es gibt noch zahlreiche weitere Bereiche, auf die Männer bei der Erziehung Einfluss nehmen. 'Es geht beispielsweise auch um das Beurteilen, ob sich Kinder normal entwickeln oder Verhaltensauffälligkeiten haben.' Jungen würden beispielsweise mehr zum Rangeln und Rumschubsen als Mädchen neigen. Doch was ist noch normal, was schon aggressiv. 'Es ist ein Unterschied, ob ein Mann oder eine Frau dies beurteilt', sagt Jacobs.

Und noch einen Grund führt er an, warum Männer wichtig sind in der Erziehung. 'In den klassischen Rollen-Stereotypen ist der Mann derjenige, der etwas riskiert, der sagt: ,Das wird schon gut gehen?. Auf der anderen Seite sind die Frauen diejenigen, die auf Sicherheit bedacht sind', erklärt der Psychologe und fügt hinzu: 'Man könnte auch sagen, dass Frauen verantwortungsbewusster sind.' Ein Kind brauche gleichwohl beide Einflüsse, um sich optimal zu entwickeln. 'Kinder brauchen eine ausgewogene Mischung.'

Das Bildungsressort hat Handlungsbedarf erkannt und gemeinsam mit der Universität und den Landesinstitut für Schule eine Kampagne gestartet, um mehr Männer an die Grundschulen zu bekommen. Mit Flyern und auf Fachtagungen werben sie um neue Pädagogen und locken mit den guten Aussichten auf einen sicheren Job, denn in den nächsten zehn Jahren wird eine große Pensionierungswelle durch die Schule rollen. 'Wer jetzt mit einem Lehramtsstudium als Grundschullehrer anfängt, der hat exzellente Chancen, bei uns eine Stelle zu bekommen', sagt Andreas Kraatz-Röper, der bei der Bildungsbehörde für den Bereich Personalmarketing zuständig ist.

Männer in die Grundschulen

'Männer in die Grundschulen' ist das gemeinsame Projekt überschrieben, das auf drei Ebenen Wirkung zeigen soll. Die Studenten, die sich bereits für die Grundschullehrer-Laufbahn entschieden haben, sollen an der Uni bestmöglich unterstützt werden, denn die Abbruch-Quote ist bei Männern hoch. Gleichzeitig soll jungen Männern frühzeitig die Möglichkeit gegeben werden, in den Job hineinzuschnuppern. Und schließlich arbeiten Bildungsressort, Uni und Landesinstitut daran, das Image der Grundschullehrer zu verbessern. Die Kampagne soll zeigen, dass der Job mehr zu bieten hat als ein bisschen singen und basteln. Und sie soll zeigen, dass auch echte Kerle in die Grundschulen passen. Kerle wie Frank Dahlenberg.

Der 40-Jährige ist über den zweiten Bildungsweg an die Grundschule gekommen - wie der überwiegende Teil der männlichen Primarstufen-Pädagogen. Doch das dürfte es mit den Gemeinsamkeiten auch schon gewesen sein. Dahlenberg ist Fußballtrainer und Pilot, war Zeitsoldat, hat anschließend Jura studiert und schließlich auf ein Lehramtsstudium umgeschwenkt. 'Vermutlich familiär bedingt', sagt er, 'denn schon meine Mutter war Grundschullehrerin.' An der Uni waren sie drei Jungs, erzählt Dahlenberg, obwohl das für ihn keine große Rolle gespielt hat. Seine Kommilitonen waren für ihn eher Menschen, die das gleiche Ziel hatten wie er selbst. Mann, Frau, das spielte keine große Rolle. Gleichwohl 'haben wir Jungs uns schnell gefunden', sagt er.

Der 40-Jährige absolvierte Uni und Referendar-Zeit und steht jetzt am Beginn seiner Lehrer-Laufbahn, die für ihn eine Art spät gefundene Profession ist. 'Als Grundschullehrer kann ich die Kinder unterstützen und ihre Entwicklung begleiten', sagt Dahlenberg. Je früher man dabei ansetzt, desto besser sei es doch. Gerade in einem Stadtteil wie Tenever, wo im Familienkreis längst nicht immer alles optimal läuft. 'Hier kann ich den Kinder bessern helfen als in jedem anderen Stadtteil', ist sich der 40-Jährige sicher. Und darum gehe es doch, ums Helfen.

Und wer weiß, sagt er, vielleicht wird es bei ihm ja eines Tages so sein wie bei seiner Mutter. 'Die wird heute noch von ihren ehemaligen Grundschülern angesprochen', erzählt der 40-Jährige. Man grüßt sich, nimmt sich ein paar Minuten zum Reden. Und das auch noch nach all den Jahren.

Familienministerin Schröder will mehr männliche Erzieher in Kitas


[AFP]

Stuttgart — Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) will den Anteil männlicher Erzieher in Kindertagesstätten erhöhen. Dazu werde gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit Anfang nächsten Jahres ein bundesweites Umschulungsprogramm starten, kündigte Schröder in den "Stuttgarter Nachrichten" (Dienstagausgabe) an. Damit solle es Männern ermöglicht werden, sich auch noch in späteren Jahren in einer zweijährigen Ausbildung zum Erzieher umschulen zu lassen. Laut Schröder wäre es "bereits ein schöner Fortschritt, wenn es an jeder Kita ein oder zwei Männer gäbe".

Viele junge Männer würden den Erzieherberuf gern ergreifen, trauten sich aber nicht, weil er ein "weibliches Image" habe, meint Schröder. Jungen bräuchten aber männliche Vorbilder. Gerade Kinder von Alleinerziehenden träfen meist erst nach der Grundschule in der weiterführenden Schule auf eine männliche Bezugsperson. Dies könne "entwicklungspsychologisch problematisch" sein, so die Ministerin.

Bund, Ländern und Kommunen hatten vereinbart, bis 2013 für 35 Prozent der Kinder unter drei Jahren ein Kita-Angebot zu schaffen. Zugleich soll es dann einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung geben, sobald ein Kind ein Jahr alt ist.

Schröder forderte darüber hinaus eine Neuausrichtung der Gleichstellungspolitik. Diese dürfe nicht mehr einseitig auf Frauen ausgerichtet sein. Vielmehr müssten heute auch Jungen aus bildungsfernen Schichten, die häufig einen Migrationshintergrund hätten, gefördert werden. "Ich konnte nie etwas mit einem Feminismus anfangen, der sich in Gegnerschaft zu den Männern begriff", so Schröder. "Der war immer schon problematisch, aber auf jeden Fall sind dessen Zeiten vorbei."

Mit Blick auf die nach wie vor existierenden Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen und das Frauendefizit in Führungspositionen betonte Schröder, die Frauenförderung sei nicht allein Sache des Staates. Der Mangel an Frauen in Spitzenpositionen liege auch an einer "falschen Unternehmenskultur", am "Leitbild des Managers mit mindestens 60 Wochenstunden, der gar keinen Raum für familiäre Verpflichtungen hat". Dies sei für jeden Mann oder jede Frau, die familiäre Verantwortung übernehmen wollten, "abschreckend".

Männliche Vorbilder fehlen


[Westfaelische-nachrichten, 08 · 07 · 10]

Laer - Egal, ob bei Pisa oder in der Schule, zwischen Mädchen und Jungen lassen sich gravierende entwicklungsmäßige Unterschiede feststellen. „Viele Beobachtungen bestätigen das,“ erklärt die Geschäftsführerin der Initiative für Kinder und Jugendliche, Inge Behler, und meint damit eine steigende Leistungsverweigerung der Jungen. Zudem ließen sich extremere Verhaltensweisen feststellen, die von stark introvertiert bis zur Aggressivität reichten.

Für Inge Behler hat dieses Verhalten vor allem einen Grund. „Jungen haben meistens kein männliches Vorbild, sondern kennen nur weibliche Bezugspersonen und werden mit weiblichen Bedürfnissen konfrontiert“. Dies finge bereits im Kindergarten an, wo es fast nur weibliche Betreuer gäbe. Ebenso würden die Mädchen und Jungen anschließend in der Grundschule hauptsächlich oder gar komplett von Lehrerinnen unterrichtet.

„Wir haben hier in Laer eine extreme Zunahme an verstorbenen Elternteilen,“ schildert Behler ein weiteres Problem. Diese unvollständige Familiensituation verschlimmere die Lage nochmals.

Um die Jungen möglichst nicht auf die schiefe Bahn abgleiten zu lassen, hatte die Initiative vor zwei Jahren ein Sozialkompetenztraining mit einem entsprechendem männlichen Trainer vor Ort angeboten. Einmal pro Woche trafen sich dabei rund ein Dutzend Jungen der dritten Klasse, um gemeinsam zu arbeiten oder teilweise auch Aktionen, wie beispielsweise Kartfahren durchzuführen. „Es fängt mit dem respektvollen Umgang an,“ beschreibt Behler die Strategie. Da der Erfolg vor allem ab der dritten Klasse nicht mehr zu erkennen sei, wolle man jetzt dort ansetzen.

Nach zwei Jahren Förderung hat der Landschaftsverband Westfalen-Lippe nun die Gelder für das Projekt gestrichen. Auch die Gemeinde kann die erforderlichen Mittel derzeit nicht aufbringen. Um das Projekt dennoch fortführen zu können, hatte sich die CDU-Fraktionsvorsitzende und Ortsvorsteherin von Holthausen, Margarete Müller, an den Kreistagesabgeordneten Günter Badersbach gewandt. Der Altenberger Christdemokrat wiederum hatte Landrat Thomas Kubendorff eingeschaltet, der die Kreissparkasse Steinfurt als finanziellen Unterstützer für dieses Jahr gewinnen konnte. Die Spende in Höhe von 2000 Euro, die der Kreissparkassenvorsitzende Heinz-Bernd Buss zur Verfügung gestellt hat, übergab Kubendorff jetzt der Initiative in der Sparkassenfiliale in Laer.

Zwischen den Herbst- und Winterferien wird das Sozialkompetenztraining zum dritten mal gestartet. Für die 46 Jungen der dritten Klasse, die das Projekt freiwillig in Anspruch nehmen können, ist die Teilnahme, abgesehen von möglichen Ausflügen kostenlos. Da das Projekt bislang außerschulisch betrieben wird, wollen die Mitwirkenden mit einem Antrag an das regionale Bildungswerk nun versuchen, eine Einbindung des Sozialkompetenztrainings in das Schulleben zu erreichen. Dann könnte es auch jüngeren Schülern angeboten werden. Das Ergebnis würde sich sicherlich bei Pisa widerspiegeln, zeigten sich die Beteiligten überzeugt.

„Das sind schon tolle Erfahrungen“


[Rundschau Online, 07.07.10]



Das Dilemma ist seit gut drei Jahrzehnten zu beobachten: Im Kindergarten treffen Kinder vor allem auf Erzieherinnen. In der Grundschule haben sie es ganz überwiegend mit Lehrerinnen und nur in seltenen Ausnahmefällen mit männlichen Lehrern zu tun.


AGATHABERG - Das Dilemma ist seit gut drei Jahrzehnten zu beobachten: Im Kindergarten treffen Kinder vor allem auf Erzieherinnen. In der Grundschule haben sie es ganz überwiegend mit Lehrerinnen und nur in seltenen Ausnahmefällen mit männlichen Lehrern zu tun.

Was Jungs heute vor allem fehlt, sind männliche Identifikationsfiguren. Also startete die Katholische Grundschule Agathaberg im Februar in eigener Regie die Aktion „Mann werd Lehrer“ (die BLZ berichtete).

Mit Plakaten um Lehrer geworben

„Wir haben zwar nicht beim Wettbewerb des Ministeriums gewonnen, aber unsere Aktion ,Mann werd Lehrer war nicht umsonst. Immerhin haben wir nun zwei Praktikanten“, berichtet Stefan Wittkampf, Leiter der Agathaberger Grundschule.

„Wir haben selber mit großem Aufwand attraktive Werbeplakate gestaltet, die wir nicht nur in den Gymnasien von Wipperfürth und Lindlar, sondern auch im Wipperfürther Berufskolleg und in den Gesamtschulen von Marienheide und Kürten aufgehängt haben. Immerhin haben wir nun zwei Praktikanten gefunden.“

Dennis Dlugi, 18 Jahre, der das Berufskolleg in Wipperfürth besucht, und der Lindlarer Gymnasiast Julian Müller machen gerade ein zwei- bis dreiwöchiges Schulpraktikum an der Agathaberger Grundschule. Vor allem die Jungs in der Grundschule brauchen auch männliche Identifikationsfiguren. „Ich möchte zwar später wahrscheinlich nicht unbedingt Lehrer werden und in den Schuldienst gehen. Aber es macht mir unheimlich viel Spaß, den Kindern etwas beizubringen“, sagt Julian Müller. „Ich wollte als erstes an eine Lindlarer Grundschule. Doch das ging nicht. Dann erfuhr ich von der Grundschule Agathaberg“, berichtet er. „Es sind schon tolle Erfahrungen, die man hier macht. Mir gefällt am besten, dass ich mich hier selber wiedererkenne, wie ich in dem Alter der Grundschüler war“, meint Dennis Dlugi.

Zu tun gibt es für beide genug: Sie sind bei der Nachmittagsbetreuung aktiv, sie helfen den Kindern bei den Hausaufgaben. Sie helfen auch morgens im regulären Unterricht, sorgen für Ruhe, wenn die Lehrerin mal die Klasse verlässt. Sie helfen bei der Vorbereitung für ein Schulfest oder in der Theater-AG mit. Auch um die Technik kümmern sie sich. Sie schließen den Beamer an, schauen nach den Rechnern oder helfen in der Küche und beim Spülen.

Morgens treffen sich die beiden, planen den Tag und teilen die Aufgaben ein. Beide Praktikanten finden es gut, dass sie zu zweit an der Grundschule sind. „Da kann man Sachen besser absprechen und Erfahrungen austauschen“, sagt Julian Müller. Auch bei den Kindern kommen sie gut an: „Sie freuen sich und fragen, ob wir mit zum Fangen oder zum Fußballspielen kommen wollen.“

Grundschulen: Fest in Frauenhand


[Newe OZ, 23.juni 2010]

Von Cristina Schwietert


BIPPEN. Grundschulen sind fest in Frauenhand. In der Regel ist der Hausmeister Hahn im Korb. In Bippen, an der Maiburg-Grundschule, ist das anders: Dort gibt es zwei Männer. Besagten Hausmeister und einen jungen Lehrer, Frank Kämper. Das gibt es nicht mehr oft.

Der 37-Jährige arbeitet seit sechs Jahren an der Maiburg-Grundschule, seit einem Jahr ist er dort auch Schulleiter. Er gehört eigentlich – weil einer wie er so selten vorkommt – auf die Rote Liste einer vom Aussterben bedrohten Art: Grundschullehrer, männlich, jung. Die kommt bei uns im Nordkreis nämlich so gut wie gar nicht mehr vor, was durchaus dem Bundestrend entspricht.

Männer verschwinden seit Jahren aus den Schulen, allenfalls an den Gymnasien gibt es noch ausreichend Nachwuchs. Die Gründe liegen unter anderem in der schlechten Bezahlung der Grundschullehrer, Frauen lassen sich das eher gefallen.

Dabei sind Männer gerade in Grundschulen, vor allem für Jungen, ganz wichtig, haben Bildungsforscher festgestellt, vor allem wegen der Auseinandersetzung mit der eigenen Rollenidentität, zumal Väter in auseinanderbrechenden Familien oft nicht mehr ausreichend präsent sind. Kleine Jungen sollten nicht nur von Frauen lernen, was ein Mann ist. Sie brauchen männliche Vorbilder, heißt es immer wieder.

Frank Kämper jedenfalls nimmt die Diskussion über Männer an Grundschulen gelassen. Er ist Grundschullehrer geworden, weil das sein Traumjob ist. Er propagiert eine offene Unterrichtsweise. In seiner zweiten Klasse sind die Tische leer, bis auf eine Trinkflasche, die Schüler sitzen in Gruppen zusammen, das Lehrerpult steht ganz in der Ecke – eigentlich ist es gar nicht da, und vor allem sitzt Frank Kämper nicht daran. Es geht unerwartet ruhig zu. Die Schüler dürfen aussuchen, ob sie zuerst Mathe- oder Deutschunterricht haben wollen. Sie lernen in Gruppen, ziemlich selbstbestimmt, sehr geordnet und erstaunlich konzentriert. „So haben die Schüler viel Freiraum, sie sitzen auch nicht 45 Minuten auf dem Stuhl, das kommt gerade den Jungen sehr zugute“, erklärt er. Und genau das kann ein Mann am besten einschätzen – im Interesse der Jungen, im Interesse der Schule überhaupt.

Jungen: Aggressivität nicht grundsätzlich schlecht

[MZ-Web, 02.06.10]
Frankfurt/Main/dpa. Sich aggressiv mit anderen im Spiel auseinanderzusetzen, ist für die Entwicklung von Jungen wichtig. Sie müssen sich mit Gleichaltrigen messen können und brauchen mehr Bewegung als Mädchen.

Dies erklärt Prof. Frank Dammasch, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut in Frankfurt. Dies komme im Kindergarten aber häufig zu kurz. Dort und in der Kindererziehung seien Männer zu wenig präsent. Vor 30 Jahren sei das noch anders gewesen: «Der Volksschullehrer diente als männliche Identifikationsfigur, heute ist auch diese Domäne weiblich», sagt Dammasch in einem Interview mit dem Apothekenmagazin «Baby und Familie».

Auch zu Hause habe früher das Bild des starken Vaters vorgeherrscht, während sich heutige Väter unsicher über ihr eigenes Rollenbild sind. Trotz allem, so der Experte, sei es aber auch für Jungen wichtig, dass Eltern viel mit ihnen schmusten.

"Viele Hauptschüler sind krank"

[FR-Online, 01. Juni 2010]

Professor Richter, dass Hauptschülerinnen am unteren Ende der sozialen Skala stehen, überrascht nicht. Aber dass sie auch noch kränker sind als etwa Gymnasiasten, gibt einem zu denken.

Hauptschüler gehören sehr häufig auch zu den sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen. Jetzt zeigt sich, dass sich zu dieser Last noch eine gesundheitliche Benachteiligung gesellt. Es werden weitere folgen. Überraschend ist das nicht. Hauptschülerinnen sterben ja auch vier Jahre früher als Abiturientinnen, wie wir aus einer Studie des Robert-Koch-Instituts (RKI) wissen. Und unsere Ergebnisse zeigen, dass elf- bis 15-jährige Hauptschüler ein etwa doppelt so hohes Risiko haben, gesundheitlich belastet zu sein als Gymnasiasten. Das ist dramatisch.


Sind Ihre Ergebnisse denn belastbar? Schließlich stützen Sie sich lediglich auf die Einschätzung der Schüler selbst.


Natürlich gibt es bei Selbstauskünften immer das Risiko Antworten zu bekommen, die als "sozial erwünscht" eingeschätzt werden. Aber da wir den Jugendlichen Anonymität garantiert haben und weder Eltern noch Lehrer die Fragebögen zu Gesicht bekamen, halte ich den Ehrlichkeitsgehalt für hoch. Sicher geben die Daten ein subjektives Bild, aber an genau diesem Bild waren wir auch interessiert. Statistische Routinedaten hätten uns diese Antworten, die Sichtweise der Heranwachsenden, nicht ermöglicht. Zudem zeigen unsere Ergebnisse einen hohen Deckungsgrad mit Daten von Studien, die neben subjektiven Daten auch "objektivere" Indikatoren verwendeten, etwa die Kiggs-Studie des RKI.


Mehrmals wöchentlich Schlafstörungen, Kopf- und Rückenschmerzen, Schwindel, Übelkeit - das geben 22,6 Prozent der Jugendlichen an und 36 Prozent der Hauptschülerinnen. Liegt das auch daran, dass Pubertierende nun mal besonders auf ihren Körper fixiert sind?


Die sozialen Unterschiede beeinflussen die Pubertät ja nicht. Aber natürlich spielt sie eine Rolle. Zum Beispiel, wenn sie besonders früh einsetzt, mit zehn oder elf, dann bedeutet das ein höheres Risiko für eine gesundheitliche Belastung. Die Jugendlichen müssen sich früher mit ihrem Körper befassen, interessieren sich für das andere Geschlecht, entdecken ihre Sexualität. Das ist ein Stressfaktor: Sie werden früh aus der Kindheit ins Haifischbecken des Erwachsenenlebens mit all seinen Anforderungen und Belastungen entlassen.


Wie erklären Sie sich, dass sich vor allem Mädchen oft krank oder schlecht fühlen?


Frauen insgesamt reagieren sensibler auf ihren Körper. Das mag mit ein Grund für den Unterschied sein. Aber: Mädchen verarbeiten Stress auch anders als Jungs. Mehr in den Körper rein. Jungs weichen eher aus. Reagieren sich ab, spielen Fußball oder raufen. Aber sie haben auch ein höheres Risiko, sich in Alkohol und Drogen zu flüchten.


Was schlagen Sie vor, um jetzt gegenzusteuern?

Gesundheitspolitisch allein kann man da wenig ausrichten. Den Jugendlichen zu sagen, sie sollen nicht trinken und nicht rauchen, wird kaum etwas nützen. Das Übel muss an der Wurzel gepackt werden. Es geht um eine fairere Verteilung von Macht, Geld und Bildung.

Wie verteilt man Bildung gerechter? In Nordrhein-Westfalen wird ja gerade wieder einmal über ein längeres gemeinsames Lernen gestritten.


Unser unsägliches Schulsystem, das soziale Selektion noch verstärkt, muss endlich erneuert werden. Wie, muss man sehen. Einige Bundesländer haben ja die Hauptschule endlich abgeschafft. So drastische Ergebnisse hätten wir in Ganztagsschulen sicher nicht erhalten.


Kann Bildung soziale Selektion verhindern?

Nein, das wohl nicht, aber sie kann sie mildern. Soziale Verhältnisse sind veränderbar. Schule kann helfen, diesen Prozess zu fördern, schließlich kann sie ihn auch verstärken, wie wir spätestens seit Pisa wissen.


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Matthias Richter ist Professor für Medizinische Soziologie an der Universität Bern und Mitautor der an der Uni Bielefeld entstandenen Studie "Psychosoziale Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen: Die Bedeutung von Alter, Geschlecht und Schultyp". Befragt wurden 4300 Schüler im Alter von elf bis 15 Jahren.

Danach leidet jeder fünfte Heranwachsende an Problemen der psychosozialen Gesundheit.

Am stärksten belastet seien Mädchen und Hauptschüler. So schätzten zwar 85 Prozent aller Teilnehmer ihre Gesundheit als gut oder sogar ausgezeichnet ein. Doch nur zehn Prozent der Gymnasiasten bewerteten ihre Gesundheit eher negativ, aber 21 Prozent der Hauptschüler. Fragten die Forscher nach konkreten Symptomen wie Kopf- oder Rückenschmerzen, Schlafstörungen oder Nervosität, stieg die Zahl der Betroffenen: An mindestens zwei solcher, mehrmals wöchentlich auftretenden Probleme litten fast 27 Prozent der Mädchen, im Vergleich zu rund 18 Prozent der Jungen.

Während nur zwölf Prozent der Gymnasiasten mit ihrem Leben haderten, war Unzufriedenheit unter den Hauptschülern mit 28 Prozent mehr als doppelt so weit verbreitet.

Die "unfaire Verteilung von Bildung, Macht und Geld" hat Richter als Übel erkannt, das an der Wurzel gepackt werden müsse: "Unser unsägliches Schulsystem, das Selektion noch verstärkt, muss endlich erneuert werden." fra

Allein unter Frauen

[Mein Dienstag, Wattenscheid, 28.05.2010]

Annette Wenzig

Wattenscheid. Er selbst sieht sich eher als Exot denn als Quotenmann. „Eine Männerquote gibt’s bei uns ja nicht“, sagt Norbert Sanner. Gäbe es sie – vielleicht würde der 45-Jährige nicht allein unter Frauen arbeiten. Sein Beruf: Grundschullehrer.

Ganz bewusst hat der Pädagoge, seit zwei Jahren an der Gertrudisschule, diese Laufbahn gewählt. „Die Möglichkeit, prägenden Einfluss zu nehmen, ist in den ersten Klassen am höchsten. Das hat mich gereizt.“ Damit steht Sanner als Mann allerdings relativ allein auf weiter Flur: Mehr als 80 Prozent aller Lehrkräfte an Grundschulen sind weiblich.

Während seines Studiums ist Sanner sein Exotenstatus noch nicht so deutlich geworden. „Da gibt es ja generell mehr Leute, und die Männer suchen und finden sich untereinander“, erinnert er sich. „So war es auch im Referendariat.“ Doch angekommen im Schulalltag hat der Pädagoge es mehr als einmal erlebt, der einzige Mann im Kollegium zu sein. „Vor zwanzig Jahren“, sagt er, „gab es an jeder Grundschule noch ein, zwei Männer. Jetzt bin ich meist der einzige.“

Dabei, findet Sanner, sei es für Jungen in einer von Frauen dominierten Umwelt wichtig, positive männliche Vorbilder zu haben. „Es gibt viele allein erziehende Mütter, und im Kindergarten arbeiten fast ausschließlich Frauen“, zählt er auf. So seien die Bilder, die viele Kinder von Männern haben, „Abziehbilder, Schablonen aus dem Fernsehen“.

Was genau den Unterschied ausmacht, kann Norbert Sanner gar nicht so genau sagen. „Aber ich denke, dass ich mit den Jungs hier anders umgehe, als manche Kolleginnen es tun.“ Und er nennt auch gleich ein Beispiel: „Jungs sind körperlicher und versuchen deshalb, auch Konflikte körperlich zu lösen. Ich denke, das wird von Frauen nicht unbedingt immer so akzeptiert.“ Die Kolleginnen an seiner letzten Schule in Sprockhövel, erzählt Sanner, hätten auch festgestellt, dass Männer an viele Dinge gelassener herangingen, es ihnen oftmals leichter falle, Fünfe gerade sein zu lassen. Die Kinder jedenfalls, sagt Sanner, fänden es cool, einen Mann als Lehrer zu haben. „Vor allem die Jungs.“

Woran es liegt, dass er als Grundschulpädagoge allein auf weiter Flur ist, kann Sanner nur mutmaßen. „Ich denke, der Beruf hat ein Imageproblem. Es herrscht die Meinung: Kleinen Kindern das bisschen Schreiben, Lesen und Rechnen beibringen, das kann doch jeder, dazu muss man nicht studieren.“ Oft höre er zwar, er habe einen interessanten Job, „aber es gibt wohl auch diesen Teil, den die Leute nur denken: ,Konnte der sich keinen vernünftigen Job suchen’ oder ,Das ist doch nur was für Frauen’“. Dass seine Arbeit vergleichsweise schlecht bezahlt wird – auch das könne ein Grund für den Mangel an männlichen Pädagogen sein. „Aber mir war schon mit zwanzig klar, dass man als Akademiker, wenn man Karriere machen und viel Geld verdienen will, im Lehramt nicht richtig aufgehoben ist.“ Für ihn habe das aber nie eine Rolle gespielt, sagt Sanner. „Ich fand Grundschule schon immer am spannendsten. Ich komme mit den Kleinen gut klar – es ist einfach das, was mir am ehesten liegt.“

Ein Mann in einem Frauenberuf

[InFranken, 17.04.10]

Boys' Day Am 22. April will der Boys'Day junge Männer für angeblich typisch weibliche Berufe interessieren. Grundschullehrer Andreas Emmerling will Kindern ein Vorbild sein.

"Fachlich sind Frauen und Männer gleich gut", betont der Grundschullehrer und Konrektor der Kunigundenschule, Andreas Emmerling, in Bezug auf sein Fachgebiet.

Doch nicht nur deshalb wünscht sich der Hallstadter ein ausgeglicheneres Geschlechterverhältnis in der Grundschulbildung.

Von gleichstarken Lehrer- und Lehrerinnenfraktionen ist die Realität laut Emmerlings Erfahrung noch weit entfernt. "In der Kunigundenschule gibt es außer mir nur noch einen Fachlehrer."

Auch während seiner Ausbildung in den 90er Jahren waren die Damen in der Überzahl. "Die meisten männlichen Lehrer, die in Grundschulen unterrichten, stammen noch aus der alten Lehrerbildung."

Erst seit den 70er Jahren gibt es eine getrennte Ausbildung für Grund- und Hauptschulpädagogen. Und vor allem Frauen entschieden und entscheiden sich heute, Lehrkräfte für die ersten vier Klassen zu werden.

Sein Studium begann Andreas Emmerling mit nur einem weiteren männlichen Mitstreiter. Und auch heute betreut der Hallstadter, der Referent für angehende Lehrkräfte im Referendariat und Praktikumslehrer für die Uni Bamberg ist, überwiegend Studentinnen: "Im letzten Studienseminar waren es nur Frauen. Bei den Praktikanten waren zwei Studenten in der Gruppe - eine echte Ausnahme".

Dass er wegen seiner Berufswahl als unmännlich belächelt wurde, ist Andreas Emmerling noch nicht passiert. Doch er kennt die gängigen Vorurteile, zu denen "Halbtagsjob" aber auch "Frauenberuf" gehört. "Doch die Akzeptanz des Grundschullehramts als wichtiger Beruf steigt." Zu recht, meint der Hallstadter; "Erziehen bedeutet, an der Zukunft des Landes mitzuarbeiten."
Gerade weil jeder seine eigene - und damit auch die geschlechtertypische - Sozialisation mit in den Unterricht einbringt und eine Vorbildfunktion für die Schülerinnen und Schüler hat, hält der Konrektor der Kunigundenschule mehr Lehrer für wichtig. Wenn männliche Bezugspersonen in Familie und Schule fehlen, besteht für Emmerling die Gefahr, "dass sich Kinder anderswo falsche Vorbilder suchen." Beispiele, wie sich Lehrerinnen und Lehrer im Unterricht ergänzen und wie durch Lehrer Klischees abgebaut werden können, gibt es für Andreas Emmerling viele: Männliche und weibliche Pädagogen bringen in ein Thema unterschiedliche Aspekte - wie soziale oder technische - mit ein, Lehrer zeigen, dass Aufräumen und Putzen nicht nur Frauensache sind, Frauen packen im Werkunterricht an - oder umgekehrt: "Ich selbst habe in meinem Werkuntericht auch schon gestrickt."

Ein Tag für Kerle

[Zeit, 2010]

Bei der Förderung von Mädchen sei viel erreicht worden, sagt die Familienministerin. Jetzt ist das andere Geschlecht an der Reihe

Die ZEIT: Frau Schröder, werden Sie bald den Namen Ihres Ministeriums verändern?

Kristina Schröder: Warum?

ZEIT: Es heißt Ministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend. Da fehlen die Männer.

Schröder: An einen Namenswechsel ist nicht gedacht. Richtig ist aber, dass diese Regierung erstmals ausdrücklich eine Jungen- und Männerpolitik betreiben wird.

ZEIT: Weshalb?

Schröder: Einmal, weil eine moderne Familienpolitik ohne die Männer nicht funktioniert. Zum anderen wissen wir, dass nicht mehr wie früher Mädchen, sondern Jungen die Problemkinder sind. Sie bleiben häufiger sitzen, sind öfter ohne Ausbildung, machen seltener Abitur. Die Aufgabe von Politik muss sein, diese Benachteiligung abzubauen. Bei Mädchen haben wir viel erreicht, jetzt wollen wir bei den Jungen genauso viel erreichen.

ZEIT: Was gedenken Sie zu tun?

Schröder: Das schlechtere Abschneiden von Jungen liegt unter anderem daran, dass Kindergärten und Schulen weiblich dominiert sind. In den Kitas sind nur drei Prozent der Erzieher Männer.

ZEIT: Was soll daran schlecht sein?

Schröder: Ich glaube nicht, dass Erzieherinnen oder Lehrerinnen Jungen bewusst benachteiligen, etwa ihnen schlechtere Noten erteilen. Tatsache aber ist, dass viele Jungen ohne Männer aufwachsen. Ihnen fehlen damit realistische Vorbilder. Mitunter entwickelt sich daraus ein Kult um Männlichkeit, der sogar Gewalt idealisiert.

ZEIT: Das sind Extremfälle.

Schröder: Die machen uns aber große Sorgen. In der Machokultur, die wir bei einigen Migranten, aber auch zum Beispiel bei rechtsextremen Jugendlichen finden, herrscht oft die Meinung vor, ein Mann dürfe seine Frau schlagen oder er muss seine Ehre mit Gewalt verteidigen. Auf diese falschen Männlichkeitsvorstellungen muss Jungenförderung eine Antwort finden.

ZEIT: Jungenpädagogen warnen schon heute davor, dass Jungen heute nicht mehr Jungen sein dürfen.

Schröder: Jungen haben ein natürliches Bedürfnis, ihre körperlichen Kräfte zu messen, also zu toben und zu kämpfen. Nicht jede Rauferei muss man deshalb gleich mit einem Streitschlichter unterbinden. Ebenso sehe ich in vielen pädagogischen Einrichtungen die Gefahr, das stärker angepasste Verhalten von Mädchen als Norm zu betrachten. Man sollte die latent größere Aggressivität von Jungen aber in vernünftige Bahnen lenken.

ZEIT: Wie zum Beispiel?

Schröder: In Offenbach gibt es ein Projekt namens »Hart aber fair – Boxclub Nordend«, bei dem Jungen das Boxen trainieren und gleichzeitig Regeln und Disziplin üben. Daneben erhalten sie Hausaufgabenhilfe. Das kommt enorm gut an.

ZEIT: Wo sollen die Erzieher herkommen?

Schröder: Gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit wollen wir arbeitslose Männer zu Erziehern umschulen. In Brandenburg haben wir damit gute Erfahrungen gemacht. Da gibt es ehemalige Handwerker, deren Fähigkeiten heute Kitas nutzen. Diese neuen Erzieher werden sogar von anderen Bundesländern abgeworben.

ZEIT: Schreckt nicht eher die schlechte Bezahlung in pädagogischen Einrichtungen die Männer ab?

Schröder: Darüber müssen wir ebenfalls sprechen. Allerdings muss man wissen, dass auch die Bezahlung von Kfz-Mechatronikern nicht wesentlich besser ist. In der Kita oder in der Grundschule muss man natürlich auch Karriere machen können. Dafür ist es notwendig, dass wir die Berufsausbildung zum Erzieher aufwerten – zum Beispiel durch ein aufsetzendes Fachhochschulstudium.

ZEIT: Wie wollen Sie die Jungen gewinnen?

Schröder: Zum Beispiel durch einen Boys Day, den wir ab 2011 parallel zum Girls Day anbieten. Seit zehn Jahren versuchen wir an diesem Tag, Mädchen für frauenuntypische Berufe zu gewinnen. Doch auch Jungen lassen sich bei der Berufswahl noch immer stark von Stereotypen leiten. Dabei werden die traditionellen Männerberufe, in denen es auf Kraft oder handwerkliche Fähigkeiten ankommt, immer weniger. Die Zukunft liegt in den Dienstleistungen – gerade auf dem sozialen Feld, das bislang von Frauen beherrscht wird, zum Beispiel in der Altenpflege.

ZEIT: Wie muss sich die Schule stärker auf die Bedürfnisse von Jungen einstellen?

Schröder: Lehrer müssen die Interessen von Jungen besser berücksichtigen. Denn die lesen oft lieber Abenteuerbücher oder Sachtexte als Geschichten, in denen es um Beziehungen oder Tiere geht. Ebenso kann es zu einer geschlechtersensiblen Pädagogik gehören, Jungen und Mädchen in einzelnen Fächer zeitweise getrennt zu unterrichten. Aber darüber sollten wir uns erst Gedanken machen, wenn es dafür wissenschaftliche Belege gibt.

ZEIT: Hatten Sie schon einmal das Gefühl, es als Mädchen oder Frau schwerer zu haben?

Schröder: Nein, weder in der Schule noch im Studium. Mittlerweile werden Frauen auch in der Politik in allen Parteien meist mit offenen Armen empfangen. Auch weil man denkt, dass Frauen bei Wählern besonders gut ankommen.

ZEIT: Ist der Feminismus als Projekt also passé?

Schröder: Ich habe einen Feminismus, der Männern den Kampf ansagt, immer kritisch gesehen. Ebenso wenig glaube ich an die These von Simone de Beauvoir, dass man nicht zur Frau geboren, sondern erst dazu gemacht wird. Dennoch profitiert meine Generation von vielem, was Frauen erkämpft haben. Anders als früher glaube ich auch, dass eine Frauenquote manchmal notwendig ist. Zum Beispiel in meiner Partei, der CDU. Da nennt sich das zwar Quorum, ist aber eine Art weicher Quote.

ZEIT: Und in der Wirtschaft?

Schröder: Da setzte ich auf Freiwilligkeit und Wettbewerb. Firmen, die sich wie die Telekom zu einem höheren Frauenanteil verpflichten, haben meine Sympathie. Für mich zeichnet eine fortschrittliche Unternehmenspolitik aus, die Stärken beider Geschlechter zu nutzen.

ZEIT: Was können Frauen besser?

Schröder: Sie sind meist lösungsorientierter und pragmatischer. Auch das Prinzip »Es wurde schon alles gesagt, nur nicht von mir« scheint mir eher eine männliche Erfindung.

ZEIT: Ist Angela Merkel ein Beispiel für weibliches Führungsverhalten?

Schröder: Ja, gerade wenn man sie mit dem eher machohaften Gerhard Schröder vergleicht. Die Kanzlerin ist keine Selbstdarstellerin.

ZEIT: Wo sehen Sie Frauen noch benachteiligt?

Schröder: In Teilen der Wirtschaft, wobei Frauen teilweise selbst daran schuld sind, dass sie zwar die besseren Noten bekommen, aber nicht die besseren Jobs. Bei Gehaltsverhandlungen tendieren sie zum Beispiel dazu, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen. Und sie sind zu zurückhaltend, wenn Führungspositionen besetzt werden. Sie warten lieber darauf, dass sie gefragt werden. Doch bis das geschieht, haben schon fünf Männer die Hand gehoben. Frauen sollten da selbstbewusster sein.

ZEIT: Vielleicht wollen Frauen nicht rund um die Uhr präsent sein, was hierzulande von vielen Führungskräften immer noch verlangt wird.

Schröder: Diese anachronistische Unternehmenskultur gibt es noch. Wer Verantwortung für seine Familie spürt, kann sich das nicht leisten – egal ob Mann oder Frau. Dennoch sehe ich etwas aufbrechen. Selbst in Anwaltskanzleien oder Unternehmensberatungen, wo die Präsenzkultur bislang großgeschrieben wurde, achtet man stärker auf Familienfreundlichkeit. Trotzdem würde ich mir wünschen, dass mehr Männer, wenn ein Meeting auf 19 Uhr angesetzt wird, sagen: Das geht nicht, da habe ich einen Termin – und zwar mit meinen Kindern.


„Mädchen haben die Jungen überholt“



[NWZ Online]


Zukunftstag Wilfried Bos fordert ein ausgeglichenes Rollenverhältnis – Frauen scheuen die Karriere


von Jessica Chmura


FRAGE: Herr Bos, der Aktionsrat Bildung bemängelt eine „eklatante Minderbeteiligung von Jungen an höheren Formen des Bildungsgeschehens“. Haben die Mädchen die Jungen in der Schule abgehängt?


BOS: Die Mädchen haben die Jungen definitiv überholt. Noch haben die Jungen leichte Vorteile in Mathematik und Naturwissenschaften, aber in Deutsch und beim Lesen liegen die Mädchen ganz eindeutig weit vorn.

FRAGE: Woran liegt das?


BOS: Ich meine, dass etwa der Nachteil der Jungen im Lesen dadurch zustande kommt, dass die Themen einfach nicht ihre Interessen treffen. Sie wollen ja lernen. Aber Jungen sind leistungsorientierter und interessieren sich mehr für Wettkämpfe statt für Beziehungstexte, wie sie in der Schule häufig gelesen werden. Diese Themen kommen den Mädchen entgegen. Würde andererseits der Chemieunterricht anhand von Kosmetik erklärt werden, wäre er auch für die Mädchen interessanter.

FRAGE: Also sollte der Schulunterricht reformiert werden?


BOS: Schule ist so, wie sie jetzt organisiert ist, nicht unbedingt etwas für Jungen. Sie zeigen allgemein mehr Verhaltensauffälligkeiten, raufen und toben gern, und entwicklungspsychologisch kommt dazu, dass es Jungen schwerer fällt, lange Zeit ruhig zu sitzen. Das können die Mädchen besser.

FRAGE: Leisten Jungen tatsächlich weniger, oder werden Mädchen schlicht besser bewertet?


BOS: Jungen leisten oft weniger. Wenn aber Jungen und Mädchen Gleiches leisten, werden die Mädchen besser bewertet.

FRAGE: Leistungsorientierung ist Männersache, Kosmetik etwas für Frauen – das klingt nach einer ziemlich oberflächlichen Rolleneinteilung...


BOS: Ähnlich verhält es sich leider auch. Natürlich wäre es schöner, wir hätten ein ausgeglichenes Rollenverhältnis. Die Frauen sind zwar leistungsstärker in der Schule, sind gut ausgebildet und arbeiten bis ins Studium hinein sehr motiviert – jedoch verweigern sie sich der Karriere. Sie trauen sich in der Regel weniger zu, als sie können, und lassen den schlechter qualifizierten Männern den Vortritt. Andere denken an ihre Familienrolle und wollen sich lieber um ihre Kinder kümmern, anstatt Karriere zu machen.

FRAGE: Haben Bildungspolitiker über die schulischen Defizite der Jungen jahrelang hinweggesehen?


BOS: Sie hatten in den letzten 30 Jahren eine sehr einseitige Sichtweise. In die Diskussion um die Benachteiligung der Frau passten die benachteiligten Jungen eben nicht hinein.

FRAGE: Ist es an der Zeit, das Augenmerk verstärkt auf die Förderung der Jungen zu legen – etwa mit einem „Zukunftstag“?


BOS: Von solchen speziellen Tagen halte ich nichts. Offensichtlich geht das Bildungssystem weniger auf die Bedürfnisse und Interessen der Jungen ein und hat sie aus den Augen verloren, das war einfach nicht im Trend. Doch es ist ebenso ein genereller Fehler im System. Man müsste mehr Männer in die Kindergärten und die Grundschulen holen, das scheitert oft schon an der geringen Bezahlung. Männer finden dort praktisch nicht statt und fehlen – auch dann, wenn zu Hause nur die Mutter die Erziehung übernimmt und der Vater arbeitet, und auch im Kindergarten und der Grundschule nur Frauen für die Ausbildung zuständig sind. Auch hier wäre ein ausgeglichenes Rollenverhältnis wünschenswert.


FRAGE: Wirken sich die Nachteile, die Jungen in der Schule haben, denn gar nicht auf ihre berufliche Karriere aus?


BOS: Eher weniger. Das, worin die Jungen in der Schule noch zurückbleiben, gleicht sich im Berufsleben wieder aus. Ein Mann fragt nicht erst, ob er die Aufgabe meistern kann, sondern erledigt sie einfach irgendwie. Gut ausgebildete Frauen hingegen ziehen sich da schneller zurück. Für das Gemeinwesen ist es gar nicht gut, wenn häufig weniger gut ausgebildete Männer Karriere machen. Doch da nimmt die Wirtschaft die schlechteren aber willigeren Männer.

FRAGE: Sie fordern also mehr Frauen in Führungspositionen?


BOS: Frauen sind bestens ausgebildet, trauen sich Führungspositionen aber trotz super Noten nicht zu. Das ist für die Gesellschaft schlecht, weil Frauen damit ihre Kompetenzen dem gesellschaftlichen Nutzen entziehen.

Prof. Dr. Wilfried Bos ist Leiter des Instituts für Schulentwicklungsforschung an der Technischen Universität Dortmund.

Arbeitsschwerpunkten gehören Empirische Forschungsmethoden, Qualitätssicherung im Bildungswesen, Internationale Bildungsforschung, Evaluation sowie Pädagogische Chinaforschung.

ist Bos Mitglied des Aktionsrats Bildung. Das Expertengremium aus renommierten Bildungswissenschaftlern beschäftigt sich auf der Basis umfassender Expertisen und Forschungen mit der gegenwärtigen Situation im deutschen Bildungssystem und bewertet diese.

Jahresgutachten 2009 beschäftigen sich die Wissenschaftler mit „Geschlechterdifferenzen im Bildungssystem“. Darin fordern sie, dass das deutsche Bildungssystem sich viel stärker der Heterogenität annehmen müsse. Ebenfalls sollten Differenzen zwischen den Geschlechtern betrachtet und praktische Konsequenzen abgeleitet werden.

Bildung: Keine Besserung in Sicht

[PTMagazin, Donnerstag 13. Mai 201]

Von: Ullrich Rothe

Mittelständische Unternehmer beklagen seit Jahren, dass immer mehr Bewerber für einen Ausbildungsplatz nicht ausreichend qualifiziert sind. Bildungspolitiker sprechen von schlauen Mädchen und dummen Jungs. Die geschlechterpolitische Initiative MANNdat schlägt Alarm.

(MANNdat/eigBer.) - Alle objektiven Studien unabhängiger Fachleute zeigen erhebliche geschlechterspezifische Unterschiede, vorwiegend zuungunsten der Jungen. Der Aktionsrat Bildung widmet sein Jahresgutachten 2009 speziell diesem Thema und stellt fest, dass Disparitäten zum Nachteil von Jungen entstanden sind.

Der Bildungsbericht 2008 kommt zu dem Ergebnis, dass es neue Problemlagen bei Jungen gibt und das Risiko für Jungen und junge Männer zunimmt, im Bildungssystem zu scheitern. Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung spricht von einer „Bildungskrise der jungen Männer“.

Jungen stellen über 60% der Sonderschüler. Sie haben die signifikant höhere Schulabbrecherquote und die signifikant niedrigere Abiturquote. Der Anteil männlicher Schüler in Gymnasien sank von 56% im Jahr 1970 auf 43% im Jahr 2006. Der Bildungsbericht der Stadt Freiburg spricht sogar von lediglich nur noch 40% Anteil männlicher Schüler mit allgemeiner Hochschulreife.

Fatales Signal

Das Bundesjugendkuratorium hat im September 2009 eine offizielle Stellungnahme „Schlaue Mädchen – Dumme Jungen? Gegen Verkürzungen im aktuellen Geschlechterdiskurs“ zu den Ergebnissen von Fachleuten veröffentlicht, die einhellig eine problematische Bildungs- und Arbeitsmarktsituation von Jungen konstatieren.

Das Bundesjugendkuratorium hat wesentlichen Einfluss auf die Bildungs- und Jugendpolitik, da es die zuständigen Ministerien berät. Die Stellungnahme des Bundesjugendkuratoriums ist deshalb eine sehr wichtige Aussage der Bildungs- und Jugendpolitik in Deutschland. Sie gibt damit einen Trend der Bildungs- und Jugendpolitik auf Bundesebene in den nächsten Jahren, wenn nicht sogar Jahrzehnten, wieder.

Die vom Bundesjugendkuratorium verfasste Stellungnahme ist jedoch keine objektive Abwägung verschiedener Ansätze zur Jungenförderung. Sie stellt vielmehr eine subjektive Verteidigung einseitig sozialisationstheoretischer und männlichkeitskritischer Ansätze dar.

Die von unabhängigen Einrichtungen erzielten dramatischen Ergebnisse zur Bildungssituation von Jungen werden relativiert. Bedürfnisorientierte und motivationale Ansätze zur Jungenförderung bleiben völlig unberücksichtigt.

Doppelmoral in der Rollenbilddiskussion

Jetzt, da der Handlungsbedarf im Bereich der Jungenförderung offensichtlich ist, wird in der Diskussion häufig kurzerhand die Schuld den Jungen selbst zugewiesen und die Behauptung in den Raum gestellt, Jungen seien zu wenig offen für neue Rollenbilder. Dies ist äußerst zynisch und verdreht die Realitäten.

Denn es waren die politisch Verantwortlichen, die von Beginn an Jungen aus dem größten geschlechterspezifischen Förderprojekt aller Zeiten, das zudem das Berufswahlspektrum und damit die Rollenbilder auf geschlechtsuntypische Berufe erweitern will, gezielt und bewusst ausschlossen – den Zukunftstag.

Außerdem sind es ja die Gesellschaft und Politik, die auf die Annehmlichkeiten archaischer Männerrollenbilder – z. B. männliche Zwangsdienstarbeitskräfte im militärischen und sozialen Bereich – nicht verzichten wollen.

So beschränkt sich die heutige staatlich subventionierte „Jungenförderung“ i. d. R. darauf, Jungen zu einer kritischen, ablehnenden Haltung gegenüber ihrer Männlichkeit zu erziehen und in Putz- und Bügelkursen zu tüchtigen Hausmännern zu machen. Und dies, obwohl alle unabhängigen Schulleistungsstudien zeigen, dass Jungen primär Bildungsförderung brauchen.

Eine solche Art der „Jungenförderung“ ist jedoch keine echte Jungenförderung, sondern eine profeministisch-ideologisch inspirierte Umerziehung von Jungen, die jungentypische Verhaltensweisen pauschal als defizitär einstuft und somit eine Jungen abwertende Gesellschaft fördert.

Kein Problem mit Zwangsdiensten

Jungen zu mehr Selbstständigkeit im Haushalt zu verhelfen, ist ohne Frage sinnvoll. Jungen allerdings exakt die Tätigkeiten als „coole“ Zukunftsperspektiven zu verkaufen, die umgekehrt als Beleg für die Diskriminierung der Frau gelten, ist äußerst fragwürdig.

Diese verkürzte Rollenbilddiskussion wird auch daran erkennbar, dass Jungen zwar dort ihre archaischen Rollenbilder aufgeben sollen, wo sie aus diesen Rollenbildern Vorteile ziehen. So sollen sich z. B. Jungen nicht mehr auf gut dotierte und angesehene Berufe konzentrieren, sondern sich mehr für schlecht bezahlte und schlecht angesehene Berufe entscheiden.

Die Bereiche jedoch, in denen Jungen auf Grund archaischer Rollenbilder Nachteile erleiden, bleiben in der Rollenbilddiskussion ein Tabuthema. So haben z. B. auch die Anhänger der Rollentheorie überhaupt kein Problem mit der einseitigen Männerzwangsdienstkultur (Männerwehrpflicht und Männerzivildienst).

Tabuthemen

Auch das vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mehrfach kritisierte und beanstandete, Väter diskriminierende Sorge- und Umgangsrechtswesen in Deutschland ist in der Rollenbilddiskussion ebenso ein Tabuthema wie das Thema Gewalt gegen Jungen und Männer. Dabei wäre gerade die Stärkung der Vaterrolle ein Bereich, der bei einer ehrlichen Rollenbilddiskussion ein Hauptanliegen sein müsste.

Und obwohl zwei Drittel aller Gewaltopfer Jungen und Männer sind, werden männliche Gewaltopfer aus der geschlechtersensiblen Gewaltopferbetrachtung ausgeschlossen. Sie werden nicht als Opfer wahrgenommen, sondern lediglich als Versager ihrer Männlichkeit gesehen. Auch daran will die Rollenbilddiskussion nichts ändern.

Zu Verlierern gemacht

Weiterhin gibt es derzeit länderabhängig einen Mangel an Fachlehrern. Zudem werden bis zum Jahr 2013 zusätzlich 40 000 Erzieher benötigt. Während in technischen Berufsbereichen speziell Mädchen für diese Berufe angeworben werden, bleibt eine ähnliche Initiative, gezielt Jungen für diese Berufe zu interessieren, aus.
Selbst in den stattfindenden Boys-Days werden diese Berufsbereiche häufig ausgeblendet.

Auch auf der Homepage des neuen Referates „Gleichstellungspolitik für Jungen und Männer“ des Bundesfrauenministeriums mit Stand vom 10.04.2010 sollen Jungen lediglich für Pflegeberufe und Dienstleistungsberufe gewonnen werden, nicht jedoch für erzieherische oder pädagogische Berufe.

Dies zeigt deutlich, dass es bei der Rollenbilddiskussion nicht um eine echte Emanzipation von Jungen geht, sondern ihnen sollen lediglich die Verliererkomponenten verschiedener Rollenbilder aufgebürdet werden.

Sozialisationstheorie als alleingültiges Paradigma

Immer noch werden die wissenschaftlichen Belege, z. B. aus der Evolutionstheorie und Entwicklungspsychologie oder der modernen Hirnforschung, relativiert, die zeigen, dass geschlechtstypische Verhaltensweisen und Interessen keineswegs ausschließlich anerzogen sind. Stattdessen gilt nach wie vor in der politisch geförderten Jungenarbeit die Sozialisationstheorie als allein diskussionswürdiger Erklärungsansatz.

Die Sozialisationstheorie ist eine wichtige sozialwissenschaftliche Theorie, welche mit dem Ziel verbunden ist, den „Prozess der Entstehung und Entwicklung der Persönlichkeit in wechselseitiger Abhängigkeit von der gesellschaftlich vermittelten sozialen und dinglich materiellen Umwelt einerseits und der biophysischen Struktur des Organismus andererseits“ zu beschreiben und zu erklären.

Ideologisch instrumentalisiert

Dieser Theorie liegen allerdings gewisse Einseitigkeiten und Vereinfachungen dort zugrunde, wo sie mit dem Anspruch verwendet wird, die bestimmenden Faktoren für die Herausbildung der Persönlichkeit des Menschen und seines Verhaltens beschränkten sich auf Gesellschaft und Kultur, denen gegenüber biologischen Einflussfaktoren keine (wesentliche) Bedeutung zukomme und die unterschiedliche Psychologie beider Geschlechter außer Acht lässt.

Besonders fatal ist es, wenn die Sozialisationstheorie instrumentalisiert wird, um ein ideologisch vorgefasstes Schubladendenken mit Geschlechterstereotypen von weiblichem Opfergeschlecht einerseits und männlichem Tätergeschlecht andererseits zu rechtfertigen und zu kolportieren.

Anstatt die Sozialisationstheorie als einen Erklärungsansatz von vielen zu berücksichtigen, errang sie in der erziehungs- und sozialwissenschaftlichen Diskussion, aber auch in der Pädagogikwissenschaft eine Art Monopolstellung.

Schlechte Basis

Über die vergangenen Jahrzehnte hat sich eine Jungenarbeit etabliert, die vorrangig ein negatives, defizitäres Jungenbild kolportiert. Ein solch negatives Jungenbild ist natürlich eine äußerst schlechte Basis für eine Jungenförderung. Wie widersprüchlich eine nicht-identitäre Jungenarbeit ist, kann man an Folgendem erkennen:

Trotz der Behauptung, „Geschlecht“ wäre rein konstruiert und nicht von der Biologie abhängig, haben diejenigen, die dies behaupten, kein Problem damit, Kinder und Jugendliche bei Förderprojekten wie dem Zukunftstag oder der MINT-Förderung nach biologischem Geschlecht einzuteilen, wer teilnehmen darf und wer nicht.

Wer dies testen will, möge seinen Sohn einmal auf einen Praktikumsplatz für Mädchen am Zukunftstag bewerben lassen mit dem Hinweis, man solle sich vom Geschlechtsteil nicht irritieren lassen, das Kind sei zum Mädchen erzogen worden.

Unterschiedliche Entwicklung eindeutig belegt

Das Bundesjugendkuratorium behauptet, es gäbe keine ausreichenden Hinweise für eine unterschiedliche Entwicklung von Mädchen und Jungen im Vorschulbereich.

Wie das Bundesjugendkuratorium zu dieser Schlussfolgerung gelangt, ist rätselhaft. Die Auswertung der ärztlichen Schuleingangsuntersuchungen, z. B. in Baden-Württemberg oder in Brandenburg, zeigen eindeutig, dass sich Jungen im Bereich Motorik und Sprachfähigkeit tendenziell langsamer entwickeln als Mädchen.

Die Untersuchungen in Baden-Württemberg haben gezeigt, dass fast 60% der Jungen zum Zeitpunkt der Einschulung erhebliche Defizite in mindestens einer wichtigen schulischen Grundkompetenz aufweisen. Fast doppelt so viele Jungen wie Mädchen landen auf den Sonderschulen.

Auch dies belegt die signifikanten geschlechtertypischen Unterschiede beim Entwicklungsstand und der Bildungsnachteile von Jungen und Mädchen zum Zeitpunkt der Einschulung und in der Bildungsbeteiligung.
Es verwundert, dass diese Erkenntnisse den Fachleuten des Bundesjugendkuratoriums bislang verborgen geblieben sind.

Entlarvend

Diese Entwicklungsunterschiede sind eben nicht anerzogen, sondern biologisch gegeben. Hier müsste eine gezielte Förderung von Jungen schon im Vorschulbereich einsetzen, wenn man Jungen gleiche Chancen beim Start in die Schule geben wollte. Stattdessen endet die Politik der Chancengleichheit exakt an dem Punkt, an dem die Nachteile und Benachteiligungen von Jungen und Männern beginnen.

Die Aussage der ehemaligen Bundesjugendministerin Ursula von der Leyen aus der „Berliner Zeitung“ vom 29.09.2006 ist diesbezüglich eindeutig: „Ich finde es nicht schlimm, dass Mädchen in Sachen Bildung an den Jungen vorbeiziehen.“

Misserfolge der Jungen sind politisch gewollt

Es verwundert nicht, dass das Bundesjugendkuratorium in seiner Stellungnahme auf Seite 27 im Grunde zu der gleichen Ansicht gelangt wie die Ministerin, die diese Stellungnahme in Auftrag gegeben hat: „Die Erfolge der Schülerinnen im Bildungssystem in den vergangenen Jahrzehnten sind als Ermutigung zum Abbau von geschlechtsspezifischen Ungleichheiten zu betrachten.“

Hier wird nochmals deutlich, dass die vom Bundesjugendkuratorium kritisierte Verkürzung auf die Jungensituation nicht nur nicht existiert, sondern in der realen Bildungs- und Jugendpolitik sogar in die andere Richtung, nämlich ausschließlich in Richtung auf die Mädchensituation besteht. Die zunehmenden Bildungsmisserfolge von Jungen und die zunehmende Arbeitslosigkeit von männlichen Jugendlichen und jungen Männern werden nicht als Problem gesehen, sondern als positive Rückmeldung einer Geschlechterpolitik verstanden, die sich auch heute noch ausschließlich auf die „Frauenfrage“ beschränkt.

Die gesamte MANNdat-Analyse zur Stellungnahme des Bundesjugendkuratoriums findet sich unter http://www.manndat.de/fileadmin/Dokumente/Studien/Studie_Verharmlosung_Bildungsmisserfolge.pdf

Ramona Wolf fordert stärkere Förderung von Jungen


[DerWesten, 03.05.2010]


Witten. Fragen Sie Ihren Landtagskandidaten oder die Kandidatin, haben wir Online-Nutzer und Zeitungsleser kürzlich aufgefordert. Die Fragen wurden von der Redaktion gesammelt und weitergeleitet. Heute beantwortet die Fragen der Bürger Ramona Wolf, Die Linke.



Sie werben auf Plakaten mit „Raus aus Afghanistan“. Werden die Bundeswehreinsätze jetzt im NRW-Landtag bestimmt?



Ramona Wolf: Selbstverständlich entscheidet der Bundestag über den Kriegseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Mit seinen Folgen und Kosten hat der Krieg aber auch Auswirkungen auf die Landespolitik in NRW. Des Weiteren würden wir beim Einzug in den Landtag eine Bundesratsinitiative anstreben.


Wie stellen Sie sich die Politik für Menschen mit Behinderung in NRW vor? Was wollen Sie tun zur Schaffung von Arbeitsplätzen für Behinderte, die über eine hohe Qualifikation verfügen?



Für die Linke ist Behindertenpolitik ein Querschnittsthema, das in alle Politikfelder einfließt. Selbstbestimmung und Selbstvertretung sind die Kernelemente Linker Behindertenpolitik. Die Grundlage dafür ist die UN-Konvention „Für die Rechte behinderter Menschen“, die als Leitlinie für einen behindertenpolitischen Paradigmenwechsel steht. Für alle Behinderten fordert die Linke Fördermaßnahmen zur Eingliederung oder Wiedereingliederung ins Berufsleben, Betreuung und Unterstützung bei der Arbeitssuche.



Welche Wertigkeit messen Sie dem Tierschutz bei? Gibt es konkrete Ziele oder Vorhaben im Bereich Tierschutz, für die Sie sich einsetzen wollen?


Im Rahmen einer sozialen und ökologischen Landwirtschaft lehnt die Linke die Haltung von Hühnern in Legebatterien ab und fordert eine tierschutzgerechte Haltung und mehr Bewegungsfreiheit für alle Nutztiere. Tiertransporte müssen stets artgerecht sein. Die Kontrolldichte bei Tiertransporten ist zu erhöhen.



Was halten Sie davon, nach den Mädchen verstärkt die Jungen zu fördern, weil diese in ihren schulischen Leistungen immer weiter hinter den Mädchen zurückbleiben?



Trotz der weiterhin bestehenden Benachteiligung von Mädchen und Frauen in vielen Bereichen der Gesellschaft ist eine besondere Förderung von Jungen in der Schule sinnvoll. Jungen verlassen in dem auf Auslese und nicht auf Förderung orientierten dreigliedrigen Schulsystem besonders häufig die Schule ohne Abschluss.



Angenommen, die Linke käme in den Landtag und es gäbe eine Mehrheit für rot-rot-grün - wollen Sie mitregieren, lediglich tolerieren oder lieber Politik aus der Opposition heraus machen?



Je größer die Fraktion Die Linke im Landtag ist, desto größer sind die Chancen für einen konsequenten politischen Kurswechsel in NRW. An einer Landesregierung, der die Interessen der Banken und Großkonzerne wichtiger sind als die Interessen der Menschen und Städte, werden wir uns nicht beteiligen.


Baden-Württemberg lehnt Männer-Quote für Erzieher ab


[Open-Report, 02.05.2010] Nach Ansicht Schicks können junge Männer nur mit attraktiven Studiengängen begeistert werden

München (ddp). Baden-Württembergs Kultusministerin Marion Schick (CDU) lehnt Überlegungen ab, den Anteil der Erzieher oder der männlichen Lehrkräfte für die Jüngsten verbindlich festzulegen. «Mehr männliche Lehrkräfte in den Grundschulen zu haben, ist sinnvoll und wünschenswert. Aber dies mit Quoten erzwingen zu wollen, ist nicht der richtige Weg», sagte Schick dem Nachrichtenmagazin «Focus» laut Vorabbericht. Es sei nicht erwiesen, «dass Jungs sich in der Grundschule wohler fühlen, wenn mehr Männer unterrichten würden». Nach Ansicht Schicks können junge Männer nur mit attraktiven Studiengängen für den Lehrerberuf begeistert werden.

Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU), die auch für Kindertagesstätten zuständig ist, will nach Presseberichten den Anteil der männlichen Erzieher in Deutschland erhöhen. Die derzeitige Quote liegt laut «Focus» bei drei Prozent.

"Nicht länger Machos sein müssen" - Das Grüne Männermanifest


11.04.2010: Einige grüne Abgeordnete und Funktionäre (darunter auch GJ Sprecher Max Löffler) haben ein grünes Männermanifest veröffentlicht. Sie fordern die Gleichberechtigung der Geschlechter und ein neues Rollenbild für den Mann.


Eine Frau ist Bundeskanzlerin. Frauen machen die besseren Bildungsabschlüsse, können Bischöfin werden, mischen in Rap und Hip-Hop mit und sind im Fußball international erfolgreicher als ihre männlichen Kollegen. Gleiche Rechte in Deutschland anno 2010? Ist Alice im Wunderland angekommen?


Mitnichten. Wir Männer sehen, dass unsere Gesellschaft noch immer von einem tief sitzenden Geist der geschlechtlichen Polarität durchflutet ist, der Frauen auf Weiblichkeit und Männer auf Männlichkeit reduziert. Damit muss endlich Schluss sein. Wir wollen nicht länger Machos sein müssen, wir wollen Menschen sein!


Man wird nicht als Mann geboren, man wird dazu gemacht.


Bedeutende Frauen wie Olympe de Gouges, Louise Otto-Peters, Simone de Beauvoir und die Frauenbewegungen im 20. Jahrhundert waren Pionierinnen für Gleichberechtigung und Feminismus. Einen Makel haben einige feministische Diskurse aber leider gerade in Deutschland bis heute: Männer spielen in ihm nur selten eine Rolle. Dabei ist wirkliche Gleichberechtigung, sind gleiche Rechte und gleiche Pflichten nur mit den Männern zu erreichen – nicht gegen sie. Frauen haben durch den Feminismus ihre Möglichkeiten erweitert, Männern steht dieser Schritt noch bevor.


Das Diktum des sozialen Geschlechtes, des Rollenzwangs und der festgelegten Verhaltensmuster gilt nämlich ebenso für Männer. Weil diese davon aber materiell und sozial immer profitiert haben, wurde erst in jüngerer Zeit zum Thema, dass Geschlechterrollen auch für Männer ein Korsett sind, das ihnen mehr schadet als nützt.


Nach dem Selbstmord von Nationaltorhüter Robert Enke ging eine Debatte über die Gesundheit von Männern, über Schwäche und Depressionen, über Versagensängste durch die Republik – endlich! Wir fragen uns jedoch: Sind die Männer, die öffentlich trauerten und weinten, aber nicht auch diejenigen, die eine Woche später in den Stadien und Fankneipen einen Fußballer als Schwuchtel beschimpfen würden, wenn er sich als homosexuell outet? Oder als Weichei, wenn er ein Jahr Babypause nimmt und seine Frau für den Lebensunterhalt sorgen lässt?


Wir brauchen ein neues Bewusstsein für eine neue Männlichkeit. Wir als männliche Feministen sagen: Männer, gebt Macht ab! – es lohnt sich.


Wir wollen Neue Werte – Neue Arbeit – Neue Perspektiven!


Die Krise ist männlich. Klimakrise, Finanz- und Wirtschaftskrise, Hunger- und Gerechtigkeitskrise, all dies sind direkte Folgen einer vor allem „männlichen“ Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftsweise, die unseren Planeten an den Rand des Ruins getrieben hat. Entfesselter Wachstum und ungehemmter Profit müssen ein Ende haben. Wir wollen anders leben!


Wir wollen entlang von Werten leben und arbeiten, die auf Wertschöpfung, Gemeinwohlorientierung, individueller Freiheit, Nachhaltigkeit und Entschleunigung basieren. Dazu müssen politische Weichen gestellt werden. Neue Zeitmodelle in den Unternehmen müssen es Männern ermöglichen, ihre Wochen- und Lebensarbeitszeit zu reduzieren, Teilzeitphasen oder Sabbatjahrmodelle zu verwirklichen. Entschleunigung ist auch hier Schlüssel: Viel zu selten werden Männern im Erwerbsarbeitsleben „nicht-klassische“ Erwerbsbiografien ermöglicht. Das Bild vom männlichen Hauptverdiener schwebt auch hier noch in den Köpfen vieler Personalverantwortlicher.


Es ist weder schlau noch gut, Menschen lediglich eindimensional in wirtschaftliche Wachstumsprozesse einzubinden. Familienleben und soziales wie gesellschaftliches Engagement sind gerade für Männer eine Möglichkeit, an einem qualitativen Wachstum mitzuwirken. Vernetztes Denken, ganzheitliche Bildung und Kreativität können sich nur vollends entfalten, wenn Menschen alle Lebensbereiche gemeinsam gestalten. Das Ende der Rollenaufteilung ist auch wirtschaftlich notwendig, denn ein Ende der Ungleichbehandlung führt für alle Beteiligten zu einer größeren Zufriedenheit.


Wir brauchen Neue Wege für Jungs!


Die Wiege der Gleichberechtigung ist wie so oft die Bildung und Erziehung. Hier fallen die Würfel. Viel ist in den letzten Jahren von der Bildungsmisere der Jungen geschrieben und gesprochen worden und vieles ist richtig. Jungen fallen viel häufiger als „Verlierer“ aus dem Bildungssystem: Sie brechen die Schule öfter ab, erreichen schlechtere Leistungen und Abschlüsse, sind häufiger schulmüde als Mädchen. Deshalb braucht es eine emanzipatorische Erziehung und eine individuelle Förderung, die die Stärken von Jungen und Mädchen gleichermaßen wertschätzt und fördert.


Zwischen emanzipierten Müttern und frauenverachtenden Hip-Hoppern bekommen Jungen heute ein breites Repertoire zur Orientierung geboten. Was oft fehlt, sind die positiven Rollenbilder einer anderen, neuen Männlichkeit. Längst wissen wir, dass mit zunehmender Gleichberechtigung das Patriarchat umso härter zurückschlägt: mit Gewalt, medialem Sexismus oder Schein-Bastionen der Männlichkeit in Sport und Musik. Wir wollen role models aus Sport, Medien, Politik und Kultur, die nicht den Macker spielen müssen, weil sie eben selber stark genug sind, auch schwach sein zu dürfen.


Wir wollen mehr geschlechtersensible Männer in „klassischen“ Frauenberufen: mehr Erzieher, mehr Grundschullehrer, mehr Sozialpädagogen. Und wir wollen, dass Jungen selbstbewusst ihren Interessen nachgehen können und nicht in tradierte Schemata gedrängt werden. Deswegen fordern wir neue Wege für Jungs durch die Etablierung von „Boy’s Days“ und ein geschlechtersensibles Bildungs- und Berufsberatungsangebot. Denn das Interesse am Maschinenbau ist nicht angeboren.


Wir fordern: Neue Väter statt „Vater morgana“!


Seit der Einführung der Partnermonate im Elterngeld durch Ursula von der Leyen bejubeln viele Medien die „neuen Väter“ und den Run auf die beiden Monate zwischen Wickeltisch und Sandkasten. Und, in der Tat: Die beiden Partnermonate waren ein Erfolg, ein Einstieg in die Übernahme von Verantwortung von Vätern in Haushalt und Erziehung. Aber werden Männer damit wirklich zu „neuen Vätern“? Oder handelt es sich nicht in Wirklichkeit um eine „Vater morgana“, die Vätern lediglich eine verlängerte Auszeit vom Job ermöglicht, und zwar in der Regel dann, wenn die ersten zwölf Monate nach der Geburt glücklich überstanden sind?


Wir wollen auch hier Gleichberechtigung: Die Aufteilung der Elternzeit muss paritätisch sein. Dies würde nicht nur Männern mehr Verantwortung abverlangen, sondern auch die Unternehmen und Arbeitgeber zum Umdenken zwingen. Zwei Monate ist ein Arbeitnehmer für den Arbeitgeber zu entbehren, sechs Monate oder länger jedoch verlangen neue Zeit- und Jobmodelle, die wir dringend brauchen – hin auf dem Weg zu echter Gleichberechtigung.


Männer leiden unter ähnlichen Vereinbarkeitsproblemen wie Frauen: Gerade junge Männer haben mittlerweile den Anspruch, Kind(er), Karriere, Engagement und Freizeit miteinander vereinbaren zu können, anstatt sich für das eine oder gegen das andere entscheiden zu müssen. Sie wollen nicht länger daran scheitern, Berufs- und Privatleben in eine gute Balance zu bringen, sondern moderne Partnerschaftskonzepte durchgängig leben und die Rolle des “neuen Vaters” tatsächlich einnehmen. Als moderne Väter wollen sie ihren Kindern beim Aufwachsen helfen, selbstbestimmt die Erziehungsarbeit teilen – statt Zuschauer zu bleiben. Auch deshalb muss Teilzeit für Chefs sowie Männer in Kitas und Grundschulen zur Selbstverständlichkeit werden.


Wir stehen für ein Neues Gesundheitsbewusstsein!


Männer sterben noch heute im Schnitt sechs Jahre früher als Frauen – Schlaganfälle und Herz-Kreislauf-Erkrankungen als Zeichen chronischer Überlastungen sind die häufigsten Todesursachen. Jahrhundertelang gehörte es nicht um Selbstbild eines Mannes, sich um seine Gesundheit zu kümmern. Dumme Sprüche wie “Ein Indianer kennt keinen Schmerz” führen dazu, dass viele Männer körperliche Warnsignale überhören oder bagatellisieren. Doch der Körper lügt nicht.


Männer sollen krank werden dürfen – ohne als Versager dazustehen. Umso wichtiger ist ein großer Aufbruch für die Männergesundheit. Wir brauchen mehr Konzentration auf die Prävention von Männerkrankheiten, in den Krankenkassen und in der Betrieblichen Gesundheitsförderung.


Die bestehende Rollenaufteilung der Geschlechter führt immer wieder zu schweren psychischen Belastungen. Sowohl Frauen als auch Männer leiden unter den enormen gesellschaftlichen Anforderungen, die ihnen auf Grund ihres Geschlechts abverlangt werden. Dies ist vor allem dort ein Problem, wo die eigene Entwicklung den Normvorstellungen wenig entspricht. Für Körper und Psyche des Menschen ist es daher dringend nötig, die Rollen endlich aufzubrechen.


Wir sind Grüne Feministen und haben gute Erfahrungen gemacht, Macht und Einfluss zu teilen. Wir sind mit Quoten und Doppelspitzen groß geworden. Wir kennen und schätzen gleiche Rechte und gleiche Pflichten sowie die Verantwortung, als Beispiel voranzugehen. Uns trägt die Vision einer Gesellschaft verschiedenster Individuen, die unter gleichen Bedingungen zusammenleben.


Wir sind keine Dinosaurier mehr. Wir wollen auch keine Alleinernährer sein. Wir wollen weniger Leistungsdruck, bessere gesundheitliche Prävention und mehr wertvolle Zeit. Wir wollen keine Helden der Arbeit sein, wir wollen leben. Wir wollen Macht, Verantwortung und Pflichten teilen und das Korsett alter Geschlechterrollen von uns reißen. Wir wollen neue Perspektiven für Männer im 21. Jahrhundert!


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Sven Lehmann | Landesvorstand Bündnis 90/Die Grünen NRW

Jan Philipp Albrecht MdEP | Grüne Fraktion im Europäischen Parlament

Kai Gehring MdB | Grüne Fraktion im Deutschen Bundestag

Malte Spitz | Bundesvorstand Bündnis 90/Die Grünen

Arndt Klocke | Landesvorsitzender Bündnis 90/Die Grünen NRW

Gerhard Schick MdB | Grüne Fraktion im Deutschen Bundestag

Dieter Janecek | Landesvorsitzender Bündnis 90/Die Grünen Bayern

Sven-Christian Kindler MdB | Grüne Fraktion im Deutschen Bundestag

Till Steffen | Justizsenator Hamburg

Rasmus Andresen MdL | Grüne Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein

Eike Block | Sprecher Grüne Jugend NRW

Christian Kühn | Landesvorsitzender Bündnis 90/Die Grünen Baden-Württemberg

Max Löffler | Sprecher Grüne Jugend Bundesverband

Henning von Bargen | Leiter Gunda-Werner-Institut in der Heinrich-Böll-Stiftung

Christoph Erdmenger | Landesvorsitzender Bündnis 90/Die Grünen Sachsen-Anhalt

Jörg Rupp | Parteirat Bündnis 90/Die Grünen Baden-Württemberg

Martin-Sebastian Abel | Sprecher LAG Kultur Bündnis 90/Die Grünen NRW

Matthi Bolte | Ratsmitglied Bündnis 90/Die Grünen Bielefeld

Martin Wilk | Bündnis 90/Die Grünen Kreisverband Kreuzberg-Friedrichshain

Janosch Dahmen | Sprecher LAG Gesundheit Bündnis 90/Die Grünen NRW

Can Erdal | Bündnis 90/Die Grünen Kreisverband Düsseldorf