[Volksstimme, 30.12.2008]
Von Philipp Hoffmann
Erziehung ist Frauensache, lautet eine (nicht nur) in Deutschland verbreitete Ansicht. Darum bleibt sie auch weitgehend den Frauen überlassen, ob im Elternhaus, dem Kindergarten oder der Grundschule. Jungen mit alleinerziehenden Müttern begegnen im Extremfall erstmals in der weiterführenden Schule regelmäßig Männern.
Der Mangel an männlichen Bezugspersonen muss sich zwar nicht zwangsläufig negativ auswirken. Allerdings legt eine ganze Reihe statistischer Werte die Vermutung nahe, dass Jungen im deutschen Bildungssystem zu kurz kommen: Mehr Jungen als Mädchen landen auf Förderschulen, weniger Jungen schaffen es auf ein Gymnasium und auf eine Hochschule. Jungen bleiben häufger sitzen und häufger ohne Abschluss. Auch außerhalb der Schule führen sie einschlägige Statistiken an, zum Beispiel die der Arbeitslosen unter 25 Jahren oder die der jugendlichen Straftäter.
Seit auch noch Schulstudien wie IGLU und PISA teilweise deutliche Leistungsunterschiede zwischen männlichen und weiblichen Schülern ausmachten, wird vielfach von "Jungen als Bildungsverlierern" gesprochen. Diesem Thema widmete sich nun auch Jürgen Budde vom Zentrum für Schul- und Bildungsforschung der Universität Halle im Rahmen einer Vortragsreihe zu Geschlechterfragen in der Schule. Budde forscht seit Jahren über Jungen und Männlichkeit und hat darüber seine Doktorarbeit geschrieben.
Wie der Wissenschaftler unter anderem bei eigenen Studien feststellte, ist die Benachteiligung von Jungen oft unterschwellig. Budde berichtete von einer Situation in einer österreichischen Schule, die sich eigentlich bewusst mit Geschlechterfragen auseinandersetzt. Eine Lehrerin fragte Fünftklässler nach ihren Vorsätzen für das neue Jahr. Vorhaben der Mädchen wie " putzen helfen " lobte sie ausdrücklich, während sie Wünsche der Jungen wie " mehr Fußball spielen " unkommentiert ließ oder ihren Sinn in Frage stellte.
Budde interpretiert das so: " Bei Jungen wird eher störendes Verhalten erwartet als bei Mädchen. Beiträge der Jungen werden daher eher als störend ausgelegt. " Das Gesamtbild von Jungen sei durch das Verhalten einiger weniger geprägt. Demgegenüber irritierten zurückhaltende, leise Jungen die Lehrer: " Sie werden leicht übersehen. " Der Bildungsforscher spricht sich für mehr Rücksicht auf spezifsches Rollen- und Lernverhalten von Jungen aus. Beispielsweise sollten typische Lernorte der Jungen wie Computer stärker anerkannt werden. Auch die Didaktik in Fächern, in denen Jungen traditionell Probleme haben, etwa den Sprachen, müsse jungengerecht umgestellt werden. So könnten beim Lesen – in IGLU und PISA als Defizitbereich der Jungen identifziert – Texte stärker auf männliche Interessen abgestellt werden, etwa Abenteuergeschichten.
Angesichts typischer "Geschlechterterritorien" in Schulen sprechen sich immer mehr Fachleute für zeitweilig getrennten Unterricht von Jungen und Mädchen aus. Etwa in den Naturwissenschaften könne so besser auf die unterschiedlichen Lernstrategien eingegangen werden. Ob es auch einen direkten Zusammenhang zwischen dem Mangel an männlichen Erziehern und Grundschullehrern und dem Bildungserfolg von Jungen gibt, ist umstritten. Außer Frage steht, dass Jungen sich durch männliche Präsenz zu anderen Aktivitäten anregen lassen – sie toben sich gern einfach mal richtig aus.