„Frauen und Männer sind zum Glück verschieden“


[FAZ.net, 21. März 2010]

Julia Klöckner im Interview


Bei der nächsten Landtagswahl in Rheinland-Pfalz fordert Julia Klöckner Ministerpräsident Kurt Beck heraus. Im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung spricht die CDU-Politikerin über Biologie, Gleichmacherei und ihren Glauben.

Frau Klöckner, haben Sie damit gerechnet, dass Ihnen die Spitzenkandidatur der CDU in Rheinland-Pfalz von Christian Baldauf auf dem Silbertablett serviert wird?

Nein. So etwas ist kaum zu planen, und wenn, dann kommt es meist ganz anders. Entscheidend waren die Überlegungen von Christian Baldauf, ob er selbst antreten will oder nicht. Er fragte, ob ich dazu bereit wäre. Diesem ersten Gespräch folgten viele weitere. Es war eine Entwicklung in sehr freundschaftlicher Atmosphäre.

In der Bibel wird Salome nach ihrem Tanz der Kopf von Johannes dem Täufer auf einem Silbertablett gebracht.

Weder gab es Tanzmusik noch Silbertabletts.

Die Köpfe der CDU-Spitzenkandidaten in Rheinland-Pfalz werden seit bald zwanzig Jahren im Wahlkampf auf dem Silbertablett serviert. Neben der Berliner Union ist Ihr Landesverband der zerstrittenste.

(lacht) Die neue CDU Rheinland-Pfalz tickt anders. Wir gehen schon längst neue Wege und arbeiten auf gemeinsame Ziele hin.

Das klingt zu schön, um wahr zu sein.

Es ist wahr, und es ist schön.

Was ist denn in Ihrer Partei im Heimatland Helmut Kohls so lange schiefgelaufen?

Lagerbildungen kosteten Kraft und die freie Sicht. Lange Zeit gab es kein verbindendes Ziel, sondern Beschäftigung mit sich selbst.

Die SPD unter Rudolf Scharping und später Kurt Beck hat diese Schwäche entschlossen genutzt und mit Bedacht den politischen Boden kultiviert. Unter den SPD-Landesverbänden gleicht der in Rheinland-Pfalz noch am ehesten einer Volkspartei.

Gewagte Aussage. Europawahlen, Bundestagswahlen und Kommunalwahlen zeigen, dass die CDU eine erfolgreiche Volkspartei ist. Und die Zeit der Lagerbildung ist vorüber, das merken nicht nur die rund 50.000 Parteimitglieder. Beim politischen Mitbewerber hat man dagegen den Eindruck, dass immer zuerst die Partei, dann lange nichts und dann endlich das Land zählt.

Haben Sie schon in dem Buch gelesen, das Ihnen der Ministerpräsident hat zukommen lassen: Friedrich Engels, „Die Frau und der Sozialismus“?

August Bebel ist der Autor. Für Bebel ist die volle Gleichberechtigung nur im sozialistischen Staat möglich. Das entspricht nicht meiner Sichtweise.

Die da wäre?

Frauen und Männer sind zum Glück verschieden. Wie langweilig wäre es ohne Männer auf der Welt! Unsere Mütter und Großmütter haben viel geleistet für die Gleichberechtigung von Mann und Frau. In Bildung und Erwerbsleben wurde viel erreicht für mehr Chancen für Frauen. Weitere Anstrengungen lohnen sich. Zugleich müssen wir aber auch achtgeben, dass in der Förderung von Jugendlichen nicht die Jungs vernachlässigt werden. Deshalb kann der sogenannte „Girls’ Day“ nicht so bleiben, wie er ist.

Die kanadische Feministin Susan Pinker meint, dass Frauen gemeinhin andere Lebensziele verfolgen als Männer.

Vermutlich hat sie recht. Ich halte auch nichts von Gleichmacherei. Das sind letztlich individuelle Entscheidungen. Dafür muss es Wahlfreiheit geben.

Ein Mann kann sich nicht dafür entscheiden, ein Kind zur Welt zu bringen. Können wir uns von unserer Biologie vollständig emanzipieren?

Ich sehe keine Notwendigkeit, dass wir uns von unserer Biologie emanzipieren. Aber was ist durch unsere Biologie und was durch unsere Umgebung geprägt?

Wir haben recherchiert, dass Mädchen massenhaft hingebungsvoll Pferde striegeln, jahrelang. Jungs tun das eher selten.

Auf unserem Hof gab es zwei Pferde, aber das Striegeln hat mich als Mädchen am meisten genervt. Stereotypen stimmen nicht in jedem Einzelfall. Es gibt keinen Grund für Gleichmacherei. Aber auch nicht für gesellschaftlich vorgegebene Hindernisse.

Gibt es die überhaupt noch?

Natürlich gibt’s die. Beispiel aus meiner Bürgersprechstunde im Wahlkreis: eine junge Frau, alleinerziehend, Hartz-IV-Empfängerin. Sie will ein Stellenangebot annehmen. Nur: Sie findet keine Kinderbetreuung. Sie hat eben nicht die Möglichkeiten wie ein junger Mann, Hartz IV, nicht alleinerziehend.

Eben. Es hat mit dem Geschlecht nichts zu tun.

Die meisten Alleinerziehenden sind nun einmal Frauen. Das ist nicht nur eine Frage der Biologie, sondern ein soziokulturelles Phänomen.

Was Sie gefordert haben, ist eigentlich: Jeder soll alle Möglichkeiten haben, immer. Egal, wie er gelebt hat, welche Ausbildung er hat, womit er privat gescheitert ist. Entschuldigung: nicht er, sondern sie.

Nein. Es geht nicht um alle Optionen zu jeder Zeit, sondern um vergleichbare von Mann und Frau in vergleichbaren Situationen. Obwohl inzwischen sechzig Prozent der akademischen Absolventen Frauen sind, findet man nur wenige in Führungspositionen. Warum? Wenn Frauen nicht wollen, hat das jeder zu respektieren, wenn aber die Chancen und Möglichkeiten hierzu fehlen, dann stimmt etwas nicht. In der Politik gibt es deshalb das Quorum. Sicher ist es eine Art Krücke. Seitdem bekleiden Frauen aber immer öfter auch führende Positionen und kümmern sich nicht ausschließlich um die Saaldekoration für den Parteitag oder das Kuchenbuffet.

Haben Sie denn selbst Ihre Partei so erlebt, dass sie Frauen allenfalls in untergeordneten Positionen ertragen will?

Bei der CDU sind Frauen willkommen. Wir haben eine Parteivorsitzende und Bundeskanzlerin und in Thüringen eine Ministerpräsidentin.

Sie haben die Frage nicht beantwortet: Haben Sie wirklich am eigenen Leibe solche Zurücksetzungen erlebt? Sie gelangten nach kurzer Parteizugehörigkeit in den Bundestag, sind jetzt Staatssekretärin, werden Spitzenkandidatin, mit 37 Jahren. Haben Frauen tatsächlich schlechte Chancen?

Ich selbst hatte in der Politik viele Chancen, aber bin ich repräsentativ? Wie viele weibliche Spitzenkandidatinnen hat es denn bisher gegeben? Nicht sehr viele.

Leistet die Kanzlerin da Schützenhilfe, indem sie gezielt Frauen fördert?

Haben Sie auch Gerhard Schröder danach gefragt, ob er gezielt Männer förderte?

Klar. Und ob er sich die Haare färbt. Er streitet alles ab.

Na dann. Die Kanzlerin legt Wert darauf, kompetente Frauen und Männer in ihrem Kabinett zu haben.

Sie haben Herrn Beck unterstellt, er sei ein Macho, weil er gesagt hat, er werde Sie im Wahlkampf behandeln wie einen Mann – fair und sachlich. Wie wollen Sie denn behandelt werden?

Bedarf es einer Äußerung, wie man seinen politischen Gegner behandelt? Ich habe jedenfalls nicht vor, ihn wie eine Frau zu behandeln.

Beck will Sie angeblich nicht schonen. Offenbar, weil er empfindet, dass er es muss – womöglich aus Ritterlichkeit. Ein Opfer seiner Biologie.

Respekt und Achtung vor dem anderen – das entspricht jedenfalls meiner Erziehung.

Welche Rolle spielen Aussehen, Charme und Image in einem Wahlkampf zwischen weiblicher Angreiferin und männlichem Verteidiger? Siehe Schröder – Merkel, Koch – Ypsilanti. Und nun also Beck – Klöckner.

Eine untergeordnete. Was zählt, sind Themen und Ideen statt Ideologien.

Sie haben Theologie studiert, nicht wahr?

Ja, und Politikwissenschaft. Mein Glaube prägt auch mein politisches Tun.

Ist Glaube Freizeitsache oder Teil des ganzen Lebens, des Berufs?

Glaube ist für mich nicht nur Privatsache, sondern Religion ist eine öffentliche Angelegenheit. Für mich ist mein Glaube Bestandteil meines Lebens, er gibt mir Halt und leitet mich bei politischen Fragen, etwa beim Schutz ungeborener Kinder und der Würde im Alter.

Will die Union heute noch christliche Politik machen?

Klar ja. Als Partei machen wir Politik aus christlicher Verantwortung, ohne dass wir den Anspruch erheben, nur unsere Politik verdiene das Adjektiv christlich. Aussagen, die Sie auch in unserem Grundsatzprogramm finden. Ich orientiere mich an der katholischen Soziallehre, den drei Säulen Personalität, Subsidiarität und Solidarität. Ein Kompass für politische Entscheidungen.

Was sind Ihre berufsspezifischen Erfahrungen als Politikerin? Was haben Sie gelernt?

Ideen zu haben und dafür Mehrheiten zu bilden, zum Beispiel im Verbraucherschutz, in der Landwirtschaft oder der Bioethik. Zustimmung zu suchen bei Politikern wie Nichtpolitikern für die Ablehnung von Google StreetView oder für mehr Fahrgastrechte bei der Bahn. Gelernt habe ich auch: dass Wahrheit nicht immer gleich Mehrheit ist und Mehrheit nicht immer gleich Wahrheit.

Haben Sie sich durch die Politik verändert?

Wenn’s nicht so wäre, wäre es bedenklich.

Und konkret: Worin sind Sie stärker geworden?

Das Wesentliche schneller wahrzunehmen – und zu erkennen, was politische Bewegung erzeugt, aus welchen Halbsätzen Schlagzeilen und Entscheidungen werden. Und schließlich die Erkenntnis: Kompromisse gehören zum Geschäft. Aber man darf dabei nicht vergessen, wo man eigentlich hin will.

Danke.

Bitte.