MÄDCHENSCHULE GYMI
von Jessica
Pfister - Mädchen sind in Schweizer Gymnasien deutlich übervertreten.
Nun liebäugeln Bildungsexperten damit, Buben und Mädchen fächerweise
getrennt zu unterrichten.
Gymnasien sind heute
überwiegend Mädchenschulen. Das zeigen die neusten Zahlen aus den
Kantonen. In Zürich beträgt der Mädchen-Anteil an Gymis laut dem
«Tages-Anzeiger» über 55 Prozent. In St. Gallen waren von den 914
Schüler, die dieses Jahr den Sprung ans Gymi geschafft haben, 59 Prozent
Mädchen und in Bern - wo der grösste Teil der Jungendlichen mit
Empfehlung und nicht mit einer Prüfung ins Gymi kommt - liegt die Quote
seit mehreren Jahren bei 60 zu 40 Prozent.
Auch in Liestal (BL),
wo Lehrerverbands-Präsident Beat W. Zemp unterrichtet, ist das
Ungleichgewicht der Geschlechter spürbar. «In unserem Schulhaus musste
ein Teil der Bubentoilletten zu Mädchentoilletten umfunktioniert
werden.» Ein Grund für die Entwicklung sieht Zemp in der Ausrichtung der
Gymnasien: «Weil die Sprachen heute stärker gewichtet werden, ist das
Gymi für junge Frauen attraktiver». Dafür würden sich junge Männer
häufiger für die Berufsbildung entscheiden.
Abhilfe schaffen soll
laut Zemp die Revision des Maturitätsanerkennungs-Reglements und der
Lehrplan 21 für die Volksschulen. «Künftig sollen naturwissenschaftliche
Fächer stärker gewichtet und das Fach Informatik aufgewertet werden.»
Handlungsbedarf sieht Zemp zudem bei den Lehrpersonen, die an den
Volksschulen vor allem Frauen sind. Eine weitere Idee ist ein getrennter
Unterricht von Mädchen und Buben. «Man weiss aus Studien, dass
Schülerinnen und Schüler in Teilbereichen wie beispielsweise Algebra
geschlechtergetrennt bessere Ergebnisse erzielen», so Zemp.
«Buben lernen anders als Mädchen»
Für Markus Theunert,
Präsident von «männer.ch» macht der geschlechtergetrennte Unterricht in
einzelnen Fächern wie Algebra durchaus Sinn. «Buben lernen anders als
Mädchen, sie brauchen mehr Bewegung und Action, Mädchen reden lieber -
darauf könnte eine Lehrperson dann besser eingehen.» Damit könne man
auch die gesellschaftliche Verunsicherung über die Rollenbilder angehen.
«Heute halten Buben lieber den Mund, wenn sie sich bei einer Antwort
nicht sicher sind.»
Die Idee eines
getrennten Unterrichts wird auch im Kanton St. Gallen diskutiert.
Christoph Mattle, Amtsleiter Mittelschulen erwägt ein Pilotprojekt: «Es
würde mich reizen einen Versuch zu starten und dies wissenschaftlich zu
begleiten.» Für Mattle ist aber auch wichtig, dass - bei guten
Erfahrungen - ein zeitweise getrennter Unterricht schon in der
Volksschule angewendet wird. Zumindest als prüfenswert bezeichnet
CVP-Bildungspolitiker und ehemaliger Gymi-Rektor Ivo Bischofberger den
Vorschlag. Allerdings sagt er auch: «Mit der heutigen Pädagogik müsste
es möglich sein, auf die unterschiedlichen Bedürfnisse von Jungen und
Mädchen im gemischten Unterricht einzugehen.» Das sieht Lehrer und
SVP-Politiker Oskar Freysinger gleich. «Später im Berufsalltag müssen
sie sich auch neben dem anderen Geschlecht beweisen.»
«Buben sind nicht dümmer als Mädchen»
Für Erziehungsberater
und Kinderarzt Remo Largo sind dies alles «hilflose Vorschläge». Er
verlangt eine komplette Umkrempelung des Schulsystems. «Vor den 80-er
Jahren hat man Buben mit einem weniger hohen Notenschnitt als Mädchen
ins Gymi gelassen - seit dies nicht mehr so ist, haben die Probleme
angefangen.» Mädchen seien nun mal vor dem Übertritt ins Gymnasium
eineinhalb Jahre reifer als Buben. Diesem Umstand müsse Rechnung
getragen werden. «Anzunehmen, Buben seien dümmer als Mädchen, ist völlig
falsch.»