[Welt, 22. Januar 2008]
Von Hildegard Stausberg
Meine Woche
Warum Jungen in der Schule Autoritäten brauchen - und Kopfnoten umstritten sind
Eine Anweisung der Schulministerin Barbara Sommer (CDU) erregt in Nordrhein-Westfalen die Gemüter: Seit über 30 Jahren sollen auf Zwischenzeugnissen - ab der dritten Klasse in der Grundschule - zum ersten Mal wieder "Kopfnoten" vergeben werden. In ihnen sollen beurteilt werden: Leistungsbereitschaft, Zuverlässigkeit, Selbstständigkeit, Verantwortungsbereitschaft, Konfliktverhalten und Kooperationsfähigkeit. Früher hieß das etwas einfacher: Betragen, Häuslicher Fleiß, Ordnung und - man glaubt es fast nicht mehr - Schönschrift.
Als ich 1967 Abitur machte, wurden über zwei Drittel meiner 24 Mitschülerinnen Lehrer, damals ein Traumberuf für junge Frauen. Und so brauche ich weder Zeitung, Deutschlandfunk noch Fernsehen, um jetzt ein breites Meinungsspektrum zu bekommen: Ich rufe sie einfach an: Die meisten sind Ende 50 und noch alle im Geschirr. Eindeutige Meinungen zu den Kopfnoten finde ich allerdings nicht, sondern viel differenzierte Aussagen und mehr als eine nachdenklich machende Erfahrung. Für meine Freundin Elisabeth U., seit 1971 Grundschullehrerin, ist die Initiative "ein begrüßenswerter Anfang". Sie glaubt, dass man Kinder - und Eltern - zurückführen muss zu Benotungen des Verhaltens, "so schmerzlich das auch sein mag". Sie unterrichtet allerdings an einer katholischen Grundschule und gibt unumwunden zu, dass sie es deshalb "etwas leichter hat", so etwas einzufordern.
Annette B., sie kam mit elf Geschwistern aus der kinderreichsten Familie meiner Klasse, ist Direktorin einer Gesamtschule im Kölner Norden. Für sie ist die Initiative von Frau Sommer "ein Schnellschuss, ziemlich weit weg von der Praxis". Sie hätte sich gewünscht, dass man das erst einmal in Pilotprojekten ausprobiert hätte. Allerdings ist für sie die größte Herausforderung unserer Gesellschaft nicht die seit Langem fehlende Benotung des Schülerverhaltens, sondern die "absolute Erziehungsunfähigkeit" junger Eltern: "Die bekommen Kinder und wissen gar nicht, wie sie diese erziehen sollen." Sie glaubt auch, dass es mehr männliche Lehrer geben müsse: "Die Jungen brauchen in der Pubertät Lehrer als Autoritätsvorbilder, wir Lehrerinnen schaffen das einfach nicht." Für sie steht außerdem längst fest, dass die Privatschulen der Gewinner der aktuellen Debatte sind: "Und die haben übrigens Kopfnoten."
Die Autorin ist Diplomatische Korrespondentin der WELT