[Sueddeutsche, 08.03.2008]
An der Grundschule sind Männer eine Rarität: Kaum ein Pädagogik-Student entscheidet sich für die Primarstufe. Wer sich doch dorthin verirrt, arbeitet allein unter Frauen.
Von Julia Bönisch
Wenn Michael Ritter morgens an seinen Arbeitsplatz kommt, muss er an manchen Tagen erst mal den Computer reparieren oder den Papierstau im Drucker beseitigen. Seine elf Kolleginnen bitten ihn darum. Ritter ist der einzige Mann im Team, und so fallen ihm solche Aufgaben nahezu automatisch zu. "Ich bin praktisch qua Geschlecht zu diesen Aufgaben gekommen", erzählt er. "Eigentlich kenne ich mich mit PCs gar nicht so gut aus, aber die Frauen fragen trotzdem immer mich. Sie selbst hängen offensichtlich auch noch alten Rollenbildern an."
Michael Ritter ist Grundschullehrer in Nordrhein-Westfalen. Der 39-Jährige gehört damit zu einer aussterbenden Spezies: Im Schuljahr 1990/91 unterrichteten noch ein Drittel Männer an Grundschulen, im Schuljahr 2006/07 ist der Anteil dagegen verschwindend gering. 86,9 Prozent der Lehrkräfte in der Primarstufe sind heute Frauen. An weiterführenden Schulen ist das Geschlechterverhältnis dagegen nahezu ausgeglichen.
Sonderstatus Mann
Die wenigen verbliebenen Männer an Grundschulen werden von Müttern und Vätern gerne mit dem Hausmeister verwechselt. Doch hat sich erst einmal herumgesprochen, dass ein Mann im Kollegium ist, sind viele Eltern begeistert. Sie stecken ihren Nachwuchs besonders gern in seine Klasse. "Wir hören an unserer Schule oft den Wunsch, dass ich mich um die wilden Jungs kümmern soll", sagt Ritter. "Die Eltern glauben, ein Lehrer hätte sie besser im Griff als eine Lehrerin."
Sein Sonderstatus als einziger Mann ist dem Pädagogen gar nicht so unangenehm. In seinem Kollegium fühlt er sich wohl, das Klischee von vielen Frauen auf einem Haufen, die nicht miteinander zurechtkommen, kann er überhaupt nicht bestätigen. Gleichwohl war ihm bei Studienbeginn nicht klar, worauf er sich da einließ. In der eigenen Grundschulzeit war Ritters Klassenlehrer ein Mann, auch im Schulpraktikum zu Beginn des Studiums wurde er von Männern betreut.
Erst als Kommilitonen aus der männerlastigen Physikfakultät in den Vorlesungen für angehende Grundschullehrer auftauchten und die Veranstaltungen als Single-Börse nutzten, nahm er das Missverhältnis wahr: Im Hörsaal lag der Männeranteil bei höchstens 15 Prozent.
Trotzdem fühlte er sich nach ein paar Semestern BWL bei den Pädagoginnen besser aufgehoben. "Im Gegensatz zu den Wirtschaftsstudenten gab es im Lehramt viel nettere Leute", sagt Michael Ritter. Und hier wusste er, wofür er studiert. "Jeder weiß, was ein Lehrer macht. Bei anderen Studiengängen ist das Berufsziel dagegen nicht so klar."
Berufung Lehrer
Früher verdiente er sich sein Taschengeld mit Nachmittagsbetreuung an der Hauptschule und Nachhilfe für Grundschüler. Da habe er gemerkt, wie viel Spaß ihm der Beruf macht. Lehrer sein ist Ritters Berufung.
Doch von Freunden und Bekannten muss er sich immer wieder dumme Sprüche anhören: Warum er denn so einen lauen Halbtagsjob mache? Er wolle doch bestimmt mal Schulleiter werden, "nur" Grundschullehrer zu sein, dass reiche ihm doch bestimmt nicht aus, und das Einmaleins könne er ja auch nicht neu erfinden.
Fachwissen gegen Didaktik
"Der Beruf Grundschullehrer hat kein besonders hohes Ansehen. Das trägt auf jeden Fall dazu bei, dass er so unattraktiv auf Männer wirkt", sagt Ritter. Experten nennen weitere Punkte: Im Vergleich zu Berufen in der Wirtschaft ist das Einkommen niedriger, die Aufstiegsmöglichkeiten sind begrenzt. Karriereorientierte Männer suchen sich lieber einen anderen Job.
Josef Kraus, Vorsitzender des Deutschen Lehrerverbandes, sieht den Männermangel auch in den unterschiedlichen Anforderungen an die Pädagogen begründet. "An der Grundschule sind sie nicht mit intellektuellen Herausforderungen konfrontiert. Da geht es mehr um pädagogische und didaktische Probleme. An weiterführenden Schulen dagegen geht es wiederum mehr ums Fachliche, das Pädagogische rückt in den Hintergrund." Männer reize leider öfter Letzteres.
Zwar bedauert es Kraus, dass es so wenig Männer an die Grundschule zieht. Eine Gefahr für Schüler kann er darin aber nicht erkennen. Thesen wie die des Ratgeberautors und Lehrers Frank Beuster, Jungen bekämen in der Erziehung "zu viel Mama und kein Papa", kann er nicht allzu viel abgewinnen.
An seinem Gymnasium sind Mädchen, die von Lehrerinnen in den naturwissenschaftlichen Fächern unterrichtet werden, motivierter und aufgeschlossener. "Den Schülerinnen tut es gut, in den angeblich typisch männlichen Fächern von Frauen unterrichtet zu werden." Die Entwicklung habe also durchaus eine positive Kehrseite.
Ersatzpapa und Tröster
Auch Grundschullehrer Michael Ritter mag die weibliche Dominanz in den ersten Lebensjahren nicht verdammen. "Das ist ja kein neues Phänomen. Die Erziehung liegt nicht erst seit gestern in der Hand von Frauen." Trotzdem wünscht er sich mehr Männer an der Grundschule - seine Kolleginnen übrigens auch. "Natürlich reagieren die Kinder anders auf einen Lehrer als auf eine Lehrerin. Gerade bei muslimischen Jungs, die zu Hause mit einem sehr traditionellen Rollenbild aufwachsen, kann eine Frau schon mal Schwierigkeiten haben."
Auch auf Klassenfahrten oder im Sportunterricht gibt es Situationen, in denen sich die Jungen lieber an ihn wenden. Von Heimweh etwa erzählen sie lieber Ritter als der Kollegin. "Doch genauso gut gibt es Situationen, in denen eine Frau besser reagieren kann." Manchen Kindern rutscht zwar schon mal das Wörtchen Papa heraus, wenn sie Ritter ansprechen. Doch das liege allein daran, dass die Schüler so viel Zeit mit ihm verbrächten, glaubt er.
Werbekampagne und Leistungsanreize
Doch wie können mehr Männer an die Grundschulen gelockt werden? Selbst Verbandschef Kraus fallen nicht viele Argumente ein, die Studenten überzeugen könnten. "Mehr Leistungsanreize könnten vielleicht helfen", glaubt er. "Doch eigentlich brauchen wir eine Werbekampagne nicht nur für die Grundschule. Das Image des Lehrers ist insgesamt einfach zu schlecht."
Lehrer Ritter dagegen glaubt, Lehramtsstudenten müssten stärker auf die Grundschule aufmerksam gemacht werden. "Für viele ist von vorneherein klar, dass sie an eine weiterführende Schule gehen, ohne die Grundschule überhaupt zu kennen." Er schlägt deshalb verpflichtende Praktika in allen Schulformen vor. "Doch auch wenn das jetzt pathetisch klingt: Eine Grundvoraussetzung ist natürlich die Liebe zum Kind. Erzwingen kann man die natürlich nicht."