Vortrag von Dr. Koch-Priewe zur Frage, ob Jungen in der Schule benachteiligt sind
[HNAonline, Samstag, 07.06.2008]
Von Gudrun Schankweiler-Ziermann
Rotenburg. Mehr als 60 Prozent der Abiturienten an der Jakob-Grimm-Schule (JGS) sind weiblich. An der Schule für Lernhilfe dreht sich der Anteil um: Hier sind 60 Prozent der Schülerschaft männlich. Sind Jungen in der Schule benachteiligt?, fragte deshalb der Schulelternbeirat der JGS und lud zu einem Vortrag mit Professorin Dr. Barbara Koch-Priewe (TU Dortmund) zum Schulversagen von Jungen in das Studienzentrum der Finanzverwaltung ein.
Der These, dass Jungen von Natur aus sind wie sie sind, widersprach die Referentin. Die Unterschiede innerhalb der Geschlechter seien wesentlich größer als die zwischen den Geschlechtern. Jungen würden zu Jungen, Mädchen zu Mädchen gemacht, und besonders in der Pubertät inszenierten sie ihre Geschlechterrolle selbst. Jedoch seien Rollenmuster wie die des körperlich starken Alleinernährers der Familie überholt, sagte Koch-Priewe.
"Der Konsum bestimmter aktivierender Medien wie aggressiver Spiele, kombiniert mit wenig Schlaf, beeinträchtigt die Gedächtnisleistung bezüglich des frisch Gelernten."
Barbara Koch-Priewe
Das Thema Jungen sei erst mit den Pisa-Studien aktuell geworden. Hier habe sich unter anderem die weitaus höhere Lesekompetenz der Mädchen gezeigt. Aber auch die sei keine biologische Tatsache, denn das sei nicht in allen Ländern der Fall.
Jungen seien keinesfalls dümmer als Mädchen, betonte die Professorin. Das zeigten Intelligenztests. Die Leistungsunterschiede seien in der Grundschule noch relativ gering und vor allem in der Sekundarstufe I zu beobachten. Allerdings schneiden die 15-jährigen Jungen in Englisch nicht schlechter ab als die Mädchen (DESI-Studien). In Mathematik und Naturwissenschaften seien Jungen genauso gut oder etwas besser. Dem Einfluss der Lehrer (etwa ungerechte Beurteilung) maß sie weniger Einfluss zu. Wichtiger seien Begabung sowie familiäres und soziales Umfeld.
Außerhalb der Schule spielt die Mediennutzung eine große Rolle. Die Ausstattung der Kinderzimmer sei diesbezüglich bei Jungen und Mädchen sehr unterschiedlich. Jungen verfügen über wesentlich mehr Medien wie TV, Computer, Spielkonsolen. Der Konsum bestimmter aktivierender Medien wie aggressiver Spiele, kombiniert mit wenig Schlaf, beeinträchtige die Gedächtnisleistung bezüglich des frisch Gelernten. Computersucht sei ein männliches Problem, meinte Koch-Priewe.
Nachweislich ist auch die Bereitschaft, sich in der Schule anzustrengen, bei Jungen wenig ausgeprägt (unter 50 Prozent).
Über Schule und Elternhaus hinaus sprach die Referentin weitere Einflüsse an. So habe sich gezeigt, dass strukturschwache Gebiete auf die Geschlechter eine unterschiedliche Wirkung hätten. Männliche Jugendliche reagierten stärker auf wirtschaftliche Probleme. Jungen brauchten offenbar stärker als Mädchen geeignete (männliche?) Vorbilder. Bei der Berufswahl relativieren sich die Geschlechtsunterschiede jedoch, betonte Koch-Priewe.