"Ausgrenzen, Mobben und Zuwendungsentzug"


[derStandard, 25. Juni 2008]

Mädchenklassen bringen "Mädchenkonflikte" - Warum ein Abgehen von der Koedukation trotzdem gut sein kann, erklärt Direktorin Schrodt im derStandard.at-Interview

Die AHS Rahlgasse im sechsten Bezirk von Wien war das erste Mädchengymnasium Wiens, seit 1978 können auch Buben die Schule besuchen. Entsprechend bemüht ist man daher, geschlechtssensibel und gendergerecht zu unterrichten. Zwei Mal gab es seither an dieser Schule den Versuch wieder Mädchenklassen zu etablieren - zwei Mal ist der Versuch gescheitert. Kann der Unterricht in geschlechtergetrennten Klassen funktionieren? Ist das der richtige Weg, um die Gleichberechtigung von Frauen und Männern in der Gesellschaft zu stärken? derStandard.at hat mit Direktorin Heidi Schrodt über ihre Motivation, geschlechtssensible Pädagogik im Unterricht zu verankern, gesprochen. Die Fragen stellte Teresa Eder.

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derStandard.at: In der AHS Rahlgasse gab es sowohl in den Jahren 1994 bis 1996 als auch 2002 bis 2004 den Versuch eine Mädchenklasse zu etablieren – warum sind diese Versuche beide Male gescheitert?

Schrodt: Wir haben nicht mit so massiven Widerständen gerechnet - vor allem von außen. Schon in der Einführungsphase war der damalige Stadtschulratspräsident Scholz vehement dagegen. Er hat gesagt, dass er diesem reaktionären Unsinn niemals zustimmen wird. Heute sieht er das allerdings ganz anders. Ab dem zweiten Schuljahr gab es auch innerhalb der Schule Widerstand. Die Mädchenklasse wurde sowohl von Mädchen als auch Burschen der Parallelklassen als „Hurenklasse“ beschimpft.

derStandard.at: Wie erklären Sie sich die Abwehrhaltung der Parallelklassen?

Schrodt: Die Mädchen aus der Mädchenklasse waren sehr selbstbewusst durch den Unterricht. Es ist bekannt aus der Koedukations-Forschung, dass die Räume in Schulen und an öffentlichen Plätzen hauptsächlich von Buben besetzt werden. So war es auch bei uns an der Schule. Plötzlich haben sich aber die Mädchen aus der Mädchenklasse ihren Raum genommen und Gänge besetzt. Sie sind dadurch wahrgenommen worden in ihrem Selbstbewusstsein.Die negativen Etikettierungen waren der Grund, warum wir das Projekt nicht fortgesetzt haben. Es war ein gemeinsamer Entschluss, auch wenn ein Teil der Eltern und Schülerinnen eigentlich weitermachen wollte.

derStandard.at: Warum haben Sie es dann im Jahr 2002 noch einmal probiert?

Schrodt: Die zweite Mädchenklasse hat sich ergeben, weil so viele Mädchen Französisch gewählt haben. Damals haben wir diesen Umstand, dass nur Mädchen in der Klasse sind, nicht speziell thematisiert und als Programm deklariert. Es gab weniger Gerede, es ist aber auch nicht so viel weitergegangen.

derStandard.at: Worin hat sich der Unterricht in der Mädchenklasse von jenem in anderen Klassen unterschieden?

Schrodt: Es gab eine Menge fächerübergreifender Projekte, die Mädchen haben zum Beispiel Frauenhäuser besucht und in allen Fächern wurden Frauenthemen behandelt.

derStandard.at: Wie kann man im Physik-Unterricht Frauenthemen unterbringen?

Schrodt: Das ist nicht schwierig. Es gibt genügend interessante Physikerinnen.

derStandard.at: Wie hat sich der Unterricht auf die Mädchen ausgewirkt?

Schrodt: Wie gesagt, sie waren sehr selbstbewusst. Die Leistungen waren sehr gut, auch die Teamarbeit. Das hat sich bis zur Maturaklasse fortgesetzt. Die Klasse war sehr schön gestaltet. Irgendjemand hat einmal gesagt, dass es dort wie in einem verlängerten Mädchenwohnzimmer aussieht.Was allerdings auch zu Tage getreten ist, sind Mädchenkonflikte. Die waren zwar nicht häufiger als im normalen Schulalltag - aber dadurch dass die Störungen von Buben meistens so offensichtlich sind, dass man andere Konflikten leicht übersieht, sind sie natürlich in der Mädchenklasse besonders aufgefallen. Dieses Ausgrenzen, Mobben und der Zuwendungsentzug, den es unter Mädchen oft gibt, war auf einmal am Tisch. Da haben auch wir Lehrerinnen viel dazugelernt.

derStandard.at: Nachdem der Versuch beendet worden ist, sind Buben in die Klassen gekommen. War das ein Problem?

Schrodt: Ja, das war zum Teil ein Problem, vor allem bei der ersten Mädchenklasse. Die selbstbewussten Mädchen haben nicht akzeptiert, dass da jemand kommt und das Kommando übernehmen will. Da musste im Unterricht sehr viel gearbeitet werden. Es war für die Buben aber auch nicht leicht, weil sie in eine deklarierte Mädchenklasse gekommen sind.

derStandard.at: Die Projekte haben nicht so funktioniert, wie sie sollten. Kann man daraus ableiten, dass geschlechtergetrennter Unterricht nicht zielführend ist?

Schrodt: Nein, es gibt sicherlich Phasen, wo das Sinn macht. Vor allem in der Pubertät ist es gut, wenn man geschlechtshomogene Räume schafft. Es sollte nur niemals ausschließlich sein. Ich bin nicht für getrennte Schulen und grundsätzlich eine Befürworterin der Koedukation. Es muss aber möglich sein, Räume zu schaffen, wo Mädchen und Buben für sich sein können.

derStandard.at: Diese geschützten Räume - wozu sind sie gut?

Schrodt: In einem koedukativen Zusammenhang ist es zum Beispiel sehr schwierig Burschen vom „Cool-Sein“ wegzukriegen. „Cool-Sein“ ist eine wichtige Metapher. Das Unterricht-Stören und das Freche ist positiv besetzt. Ein cooler Bursch ist umso akzeptierter, je mehr von diesen Verhaltensweisen er zeigt. Das gilt für Mädchen nicht. Wenn Buben dieses Verhalten ablegen sollen, dann verlieren sie an Renommee und das zu thematisieren, ist in einer reinen Bubengruppen leichter. Wenn man ausschließlich in geschlechtshomogenen Gruppen arbeitet, kann sich solches Verhalten allerdings auch verstärken. Wir hatten auch einmal eine reine Bubenklasse an der Schule – da haben alle ein besonders lautes und rüpelhaftes Verhalten an den Tag gelegt.

derStandard.at: Welche Konsequenzen haben sie aus den Projekten rund um die „Mädchenklassen“ gezogen – wie gestaltet sich der geschlechtssensible Unterricht jetzt an Ihrer Schule?

Schrodt: Wir wissen jetzt, dass Ausgewogenheit sehr wichtig ist. Es muss auch Maßnahmen geben, wo die Kategorie Geschlecht nicht thematisiert wird. Andererseits gibt es bei uns nach wie vor Fächer, wo geschlechtergetrennter Unterricht stattfindet: Werken zum Beispiel. Bei uns kann man nicht wählen zwischen textilem oder technischem Werken. So wird das textile Werken nicht automatisch als etwas Weibliches festgesetzt und die Buben können sich in einem geschützten Rahmen damit auseinandersetzen. Das Pflichtfach „Lernwerkstatt“, das wir vor 13 Jahren eingeführt haben, wird auch getrennt unterrichtet. Dieses Fach dient – vereinfacht gesagt – dazu, forschen zu lernen.
Als weitere Maßnahme haben wir Streithelferinnen und Streithelfer aber auch Gleichberechtigungsbeauftragte unter den Schülerinnen und Schülern. Diese Funktionen sind auch bei Buben sehr beliebt. Wenn man Angeboten für Buben macht, dann sollte man darauf schauen, dass es prestigeträchtig ist und nicht nach Sozialarbeit riecht. Zusätzlich bieten wir eigene Mädchen-Sprechstunden, Selbstverteidigungskurse und Gender-Tage an. An diesen Tagen sind die Klassen in Workshops eingeteilt. Mädchen können zum Beispiel Mopeds repariert oder Bäume bei einem Förster fällen. Bei den Burschen war letztes Mal ein Vater, der in Karenz war und über seine Erfahrungen bei der Geburt und der Schwangerschaft gesprochen hat. Einige Buben waren im Hort oder Kindergarten arbeiten, zwei davon haben jetzt mit Kindergartenpädagogik begonnen.

derStandard.at: Sie sind in der Expertenkommission für die Neue Mittelschule von Bundesministerin Claudia Schmied. Inwiefern spielt bei diesen Beratungen geschlechtssensible Pädagogik eine Rolle?

Schrodt: Ich muss es ganz stark einbringen. Diese Kategorie wird leider noch nicht automatisch miteinbezogen wie zum Beispiel in Schweden. Als erstes müsste die Lehrerausbildung reformiert werden. Es kann noch so tolle Konzepte für geschlechtssensible Pädagogik geben - wenn die Lehrer nicht das Bewusstsein dafür haben, hilft das alles nichts. (Teresa Eder/derStandard.at, 24.6.2008)

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AHS Rahlgasse Zur Person Heidi Schrodt hat Germanistik und Anglistik an der Universität Wien studiert. Seit 1992 ist sie Direktorin an der AHS Rahlgasse im sechsten Wiener Gemeindebezirk. Zahlreiche Publikationen insbesondere zu Gender- und Koedukationsfragen. 2005 erhielt sie den Wiener Frauenpreis. Schrodt über sich selbst: "Ich bezeichne mich gerne als Feministin."