[KSTA.de, Erstellt 28.10.08]
KÖLNER STADT-ANZEIGER: Warum will kaum ein männlicher Abiturient Grundschullehrer werden?
ULRICH BOLDT: Das liegt vor allem daran, dass die gesellschaftliche Wertschätzung des Lehrerberufs allgemein abnimmt. Dazu kommt die Tatsache, dass man an Grundschulen weniger verdient als an weiterführenden Schulen. Außerdem sind die Karrieremöglichkeiten beschränkt.
Das scheint Frauen nicht zu stören.
BOLDT: Für Frauen sind vielleicht eher die Arbeitsinhalte wichtig, außerdem denken sie stärker an die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Und junge Männer werden zusätzlich davon abgeschreckt, dass der Arbeitsbereich so stark weiblich dominiert ist.
Sie könnten es ja auch genießen, der »Hahn im Korb« zu sein.
BOLDT: Zumindest bei der Arbeit funktioniert das nicht. Sowohl Frauen als auch Männer fühlen sich am Arbeitsplatz wohler, wenn sie sich mit Kollegen des gleichen Geschlechts austauschen können.
Abiturienten, die an Grundschulen arbeiten wollen, müssen deswegen eine sehr stabile Persönlichkeit haben. Denn es ist immer schwer, sich gegen den Mainstream zu verhalten.
Raten Sie Ihren männlichen Studenten deswegen von dem Job ab?
BOLDT: Auf keinen Fall. Denn es gibt auch männliche Studenten, die sagen, dass die Grundschule gerade wegen des Männermangels genau die richtige Schulform für sie sei. Denn hier merken sie, wie wichtig sie besonders für die männlichen Grundschüler sind.
Warum ist es für Schüler wichtig, auch männliche Lehrer zu haben?
BOLDT: Viele Jungen haben wenig Kontakt zu Männern - sei es an der Schule oder zu Hause. Ohne Rollenvorbilder laufen sie Gefahr, auf Stereotype zurückzugreifen - zum Beispiel aus den Medien. Außerdem kann sich der Männermangel an Schulen negativ auf die Leistungen auswirken. Die IGLU-Studie hat gezeigt, dass Jungen die ersten vier Schuljahre weniger positiv erleben als Mädchen.
Wie können denn mehr männliche Abiturienten für den Job als Grundschullehrer gewonnen werden?
BOLDT: Die Diskussionen um eine Quote sind auf jeden Fall Quatsch, weil es gar nicht genügend Studenten gibt. Stattdessen müssen die Jungen gerade im Gymnasialbereich stärker mit Berufsfeldern in Kontakt kommen, die als typisch weiblich gelten. Nur so können sie sich selber ein Bild machen, ob eine Tätigkeit im Altenheim, Kindergarten oder eben in der Grundschule zu ihnen passt.
Das Gespräch führte Kerstin Meier