Der gefährliche Überschuss

[Von Markus Schwering, 26.04.09]

Jungs befinden sich nach der Emanzipation der Frau in einer durchaus misslichen Lage. Sie sollen weibliche Eigenschaften adaptieren und ringen dabei mit ihren ureigensten Trieben. Müssen sich Männer nun ihrerseits befreien?

Diese Kolumne ist politisch unkorrekt - und wer auf politischer Korrektheit besteht, sollte nicht weiterlesen. Ich selbst äußere das folgende auch nur zögernd - und mit gebührendem Abstand zum schreckensvollen Geschehen. Der Schulmordlauf von Winnenden hat wieder einmal gezeigt: Wenn Amok gelaufen wird, dann sind stets Männer bzw. männliche Wesen die Täter, so gut wie nie Frauen. Im Fall von Winnenden wird dieser Umstand verschärft durch die Beobachtung, dass der Mörder gezielt Lehrerinnen und Mitschülerinnen ins Visier nahm.

Das führt zu einer Frage: Benachteiligt unser Bildungssystem, unsere Gesellschaft je nach dem gerade Jungen in einer Weise, dass sie - wieder je nach dem - anfällig werden für monströs-radikale Konfliktlösungen? „Je nach dem“ - das meint, dass die Katastrophe selbstredend viele Ursachen hat, die teils menschlichem Erkennen unzugänglich sein mögen. Davon unabhängig ist doch bemerkenswert, wie die auch im Zuge der Frauenemanzipation durchgesetzte geschlechtsübergreifende „Feminisierung“ von Verhaltensformen und -normen Männer ins Abseits stellt.

Die haben nun mal dank ihrer hormonellen Disposition - Stichwort: Testosteron - einen Aggressivitätsüberschuss, der sich normalerweise in typischem Macho-Gehabe auslebt. Damit ist es nichts mehr: Jungen, schon in der Grundschule von Frauen regiert, sollen wie Mädchen fleißig, aufmerksam, strebsam und interessiert sein. Das aber kollidiert dann leicht mit ihrem Selbstbild und der inoffiziellen männlichen Werte-Hierarchie. Dass der Konflikt keine Einbildung ist, zeigt das Leistungsverhalten der Jungs: Die Mädels ziehen mühelos an ihnen vorbei, stellen an den Hochschulen die Mehrheit der Studierenden.

Ist die Vermutung abwegig, dass es die durch diese Konstellation aufgestauten Spannungen und Frustrationen sind, die sich dann schon mal kurzschlüssig und katastrophal Bahn brechen. Was tun? Muss sich nach der Frau der Mann emanzipieren? Es gibt ja bereits Jungen-Förderprogramme, die auf der Erkenntnis beruhen, dass etwas zu geschehen hat. Reicht es?

Fatal wäre freilich der Umkehrschluss: Wenn der Mann - wie in patriarchalischen Gesellschaften üblich - seine Frau verprügeln darf, dann läuft er auch nicht Amok. Und wer mutmaßt, ich wolle mit vorangehenden Einlassungen meine eigene Frauen verachtende Lebenspraxis rechtfertigen, irrt ebenfalls. Ich prügle meine Frau nicht - da können Sie sie ruhig fragen. Aber ich bin auch kein Amokläufer.