Starke Kerle in der Krise
Moderne Männer leiden unter Identitätsproblemen / Macho oder Weichei? / Jungen fehlen männliche Vorbilder
[Wiesbadenier Kurier, 02.04.2008]
WIESBADEN Vielleicht ist es Euch aufgefallen: Die letzte Jule-Ausgabe war sehr frauenlastig. Höchste Zeit also für eine echte Männerseite! Doch was ist heutzutage überhaupt ein echter Mann? Das "starke" Geschlecht ist in einer Identitätskrise, irgendwo zwischen Macho und Weichei.
Von
Felix Hooß
Früher war doch alles viel einfacher. Manchmal braucht man sich nur die alten Hollywood-Filme anzugucken: "Ich schau dir in die Augen, Kleines!" - Sie das zarte, schmachtende Wesen, er der harte, kernige Kerl zum Anlehnen. Die Rollen waren noch klar verteilt. Sicher war auch damals nicht alles perfekt (Humphrey Bogart musste in dem Film "Casablanca", aus dem die berühmte Szene stammt, angeblich auf eine Holzkiste steigen, um für die entsprechenden Größenverhältnisse zu sorgen), aber die Emanzipation hat uns Männern dann doch endgültig den Rest gegeben.
Heute gibt es kaum noch Gebiete, auf denen wir echten Kerle unsere ehemalige Vormachtstellung noch behaupten könnten. Die Frauen werden sogar Fußball-Weltmeister und Deutschland wird - was wohl auch sonst - von einer Frau regiert. Wir sitzen echt in der Bredouille, Jungs! Das wirklich Schlimme ist aber: Bereits in der Schule wird überdeutlich, wie sehr uns die holde Weiblichkeit abgehängt hat. Während die Herren der Schöpfung hier scheinbar nicht mehr klarkommen und häufig schon in der Grundschule erhebliche Defizite aufweisen, werden sie links und rechts von ambitionierten Mädels überholt.
Der Hamburger Lehrer Frank Beuster (siehe Interview), der im Unterricht selbst den gravierenden "Verfall" bei den Jungen beobachten konnte, warnt in seinem 2006 erschienen Buch "Die Jungen-Katastrophe": "Das bisher allgemein als stark geltende männliche Geschlecht zeigt Schwächen, braucht zunehmend Hilfe. Dies wird besonders an den Jungen immer deutlicher." Jungen und Männer kommen mit den Herausforderungen immer schlechter zurecht, scheinen überfordert mit Dingen des alltäglichen Lebens - "Alltagstaugenichtse" nennt Beuster sie an einer Stelle in seinem Buch. Kein Wunder, dass unsere Hälfte der Schöpfung in allen negativen Statistiken führt: Kriminalität, Gewalt, Drogen, Alkohol und Selbstmord - in all diesen Kategorien sind wir Typen einsame Spitze. Wie sagt Tyler Durden alias Brad Pitt in "Fight Club:" "Wir sind die Zweitgeborenen der Geschichte, Leute - Männer ohne Zweck, ohne Ziel."
Man(n) muss sich ja als Konsequenz nicht gleich wie in dem Film auf die Fresse hauen, aber eine gewisse Identitätskrise beim "starken" Geschlecht ist doch offensichtlich. Machotum scheint "out", klassische männliche Werte spielen in einer Gesellschaft, in der immer mehr die Frauen das Sagen haben, eine immer kleinere Rolle. Aber muss man deswegen zum Weichei mutieren? Was wird von uns gefordert, von der Gesellschaft und insbesondere von den Frauen? Klar finden unsere Liebsten es toll, wenn wir Kochen und Wäschewaschen können und später vielleicht sogar mal Vaterschaftsurlaub nehmen, um uns um den Nachwuchs zu kümmern, aber sie stehen auch irgendwie auf den animalisch schwitzenden Klempner, der das Wort "Gleichberechtigung" bestimmt nur vom Hörensagen kennt.
Es fehlt Jungen und Männern an Orientierung, und das liegt nicht nur an den sich verändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Viele Jungen wachsen alleine bei ihren Müttern auf, erleben in den meist durchweg weiblich besetzten Kindergärten und Grundschulen und oft bis in die Mittelstufe hinein kein einziges wirkliches männliches Vorbild. Väter, die ihrem Nachwuchs Werte vermitteln, sie auf dem Weg zum richtigen Mannsein begleiten könnten, sind häufig abwesend - wenn nicht familiär dann oftmals berufsbedingt. Buchautor Frank Beuster fordert im Gespräch mit der Jule-Redaktion, dass an ihre Stelle dann eben "andere Männer treten müssen, die diese Funktion übernehmen". Diese sollten als Mentoren, als Paten auftreten, "Trainer, Lehrer - Personen, die stark genug sind, um ein funktionierendes Persönlichkeitsbild abzugeben", so Beuster.
Der Mann von heute, es gibt ihn sicher nicht als Standardmodell. Er muss sich neuen gesellschaftlichen Herausforderungen stellen, ursprüngliche Eigenschaften und ganz neue Qualitäten vereinen. Männer, die sowohl von ihrer männlichen als auch von ihrer weiblichen Seite profitieren, wurden in den Medien als "Metrosexuelle" gehypt. Typen, wie David Beckham, der auch schon mal die Unterwäsche seiner Frau trägt. Aber den finden die Frauen ja auch irgendwie heiß. Es ist schon schwer, ein Mann zu sein.