Jungs werden in der Schule immer schlechter

[Weissenburger Tagblatt, 1-10-2009]

WEISSENBURG (mau) – Die schulischen Leistungen von Jungen sacken in Deutschland immer mehr ab. Professor Christian Pfeiffer, der Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, sieht die Ursache hierfür vor allem beim übermäßigen Computerspielen, aber auch im Fernsehkonsum der Jungs. Und der Kriminologe kann das anhand umfangreicher Studien sogar beweisen.

Seine Erkenntnisse in Sachen Mediennnutzung und deren Auswirkung auf die Schulleistung von Jugendlichen stellte Pfeiffer nun beim Jubiläum des Arbeitskreises (AK) Schule-Wirtschaft im Weißenburger Wildbadsaal vor (siehe Bericht unten). Pfeiffer untermauerte seine Erkenntnisse mit vielen Zahlen, dennoch wurde der Vortrag keineswegs dröge. Vielmehr verstand es der SPD-Politiker, der von 2000 bis 2003 Justizminister in Niedersachsen war, mitzureißen, Betroffenheit zu erzeugen und Sehnsüchte zu wecken, wie AK-Vorsitzender Frank Sarres im Nachgang zu Recht lobte. Basis für Pfeiffers Vortrag ist eine empirische Studie mit dem Titel «Die PISA-Verlierer – Opfer ihres Medienkonsums».


Die Untersuchungen haben deutlich gezeigt, dass das Bildungsniveau der Jungen in Deutschland im Vergleich zu jenem der Mädchen immer weiter absinkt. Es gibt mehr und mehr männliche Schüler, die sitzen bleiben, immer mehr männliche Schulabbrecher und immer weniger männliche Abiturienten. «In einem Land wie Deutschland kann man sich das nicht leisten», ärgerte sich Pfeiffer. «Die Wirtschaft darf sich das nicht länger bieten lassen», rief er den Unternehmern im Saal entgegen. Ein Beispiel für die Folgen dieser Entwicklung: Die Medizin wird in Zukunft eine reine Frauendomäne in Deutschland, weil die jungen Männer von ihren Leistungen her erst gar nichts für das Studium zugelassen werden.

Die kürzlich von der Politik verbreitete These, die Jungs seien deshalb schlechter in der Schule, weil es nicht genug männliche Grundschullehrer gebe und ihnen deshalb eine männliche Bezugsperson fehle, sind «kompletter Unsinn», stellte Pfeiffer fest. Seine Studien belegen, dass die Leistungen der Buben auf völlig identischem Niveau sind, egal ob sie von einem Lehrer oder von einer Lehrerin unterrichtet werden.


Der Professor hat aber eine ganz andere Ursache ausgemacht: Jeder vierte sechsjährige Junge in Deutschland hat bereits einen eigenen Fernseher in seinem Zimmer stehen! 40 Prozent der Zehnjährigen haben eine eigene Computerspielkonsole. Bei den Mädchen sind es nur 15 Prozent – und die spielen durch die Bank harmlose und keine actionlastigen Brutalo-Spiele. Außerdem verbringen die Mädchen deutlich weniger Zeit vor den Geräten.


Auch das bessere Abschneiden der süddeutschen Bundesländer bei den PISA-Studien im Vergleich zu den norddeutschen kann Pfeiffer anhand seiner Zahlen erklären. In Bayern und Baden-Württemberg ist der Anteil der Fernseher und Konsolen in den Kinderzimmern deutlich niedriger. Dagegen ist der Anteil der Kinder, die eine Musikschule besuchen, in beiden Bundesländern besonders hoch. Pfeiffer: «Diese Intelligenzförderung ist eine der Kraftquellen des Südens.»


Auffällig auch: Je höher das Bildungsniveau der Eltern, desto geringer der Anteil an TV und Computer
im Kinderzimmer. Und: Haben beide Eltern Abitur, liegt der durchschnittliche Medienkonsum der Kinder bei einer Stunde am Tag, haben die Eltern beide Hauptschulabschluss, ist es mehr als dreimal so viel.

Kurz ging Pfeiffer auch auf die Gefahr der Abhängigkeit von Computerspielen ein und verteufelte hier besonders das Spiel «World of Warcraft», das weltweit eine riesige Fangemeinde hat. Der durchschnittliche Spieler verbringt täglich vier Stunden in der virtuellen Welt, in der er online mit den Zockern rund um den Globus verbunden ist. Es gibt allen Ernstes Diskussionsforen, in denen sich die WoW-Spieler über Windelsorten austauschen – sie wollen während des Spiels nicht einmal mehr auf die Toilette. «World of Warcraft ist das schlimmste Spiel auf dem Markt», sagte Pfeiffer und kritisierte die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle, die das Spiel für frei ab zwölf Jahren in Deutschland erklärt hat.


Schwer beeindruckt zeigte sich das Auditorium auch von einigen Szenen aus einem Spiel, in dem man sich als brutaler Auftragskiller durchschlagen muss. Dieses Game ist zwar nicht für Jugendliche freigegeben, doch ist das bei den Jugendlichen eher ein Anreiz. Die Hälfte der zehnjährigen Jungs, die über eigene Geräte in ihrem Zimmer verfügen, zocken solche Spiele gelegentlich, weiß Pfeiffer. Bei den 14-Jährigen sind es schon über 80 Prozent.


Bei aller Brutalität dieser Szenen, konnte der Kriminologe doch in einem Punkt Entwarnung geben: «Man wird kein Amokläufer, weil man so ein Spiel gespielt hat. Der Hass auf die anderen Menschen entsteht im realen Leben.» Doch das Mitgefühl für die anderen Menschen sinkt durch solche Programme.


Natürlich hätten die Eltern auch früher ihren Kindern zum Teil höchst brutale Märchen vorgelesen, doch es gibt einen ganz entscheidenden Unterschied: Die Bilder, die sich die Kinder dazu selbst im Kopf gebastelt haben, waren nie so brutal wie die Darstellung in einem Film oder einem Spiel. Deshalb brachten die reinen Wörter das Gehirn nicht so durcheinander.


Pfeiffer berichtete von einem Experiment, in dem zwei Gruppen ins Kino geschickt wurden. Die eine, die sich einen Liebesfilm ansah, wusste hinterher noch genau, welche Werbung vor dem Film gezeigt wurde.


Die Gruppe, die einen brutalen Streifen vorgeführt bekam, war hingegen blank. Die Wucht der Bilder hatte die Erinnerung im Kurzzeitgedächtnis ausgelöscht. Kein Wunder also, dass auch Gelerntes im Gedächtnis nicht haften bleibt, wenn man sich hinterher heftige Bilder gibt – wobei der Effekt bei Computerspielen eben noch krasser ist als bei Filmen.


Somit gibt es aus der Sicht des Professors eine ganz klare und eindeutige Forderung, die dringend umgesetzt werden muss: «Keine Bildschirmgeräte in den Kinderzimmern. Retten wir die Nachmittage der Jungen.» Sport und Bewegung helfen zudem Wunder. Dafür gebe es eindrucksvolle Beweise von speziell ausgerichteten Schulen. Beispielhaft berichtete der Referent von einem Projekt aus den USA und aus Neuseeland.


Und auch in Bayern gibt es Hoffnung. Kürzlich durfte Pfeiffer seine Thesen dem Kabinett von Horst Seehofer vorstellen. Ergebnis: Ein Modellversuch soll eingerichtet werden. Der Professor steht hierzu bereits
im engen Kontakt mit Kultusminister Ludwig Spaenle.

Die Ergebnisse der Studie «Die PISA-Verlierer – Opfer ihres Medienkonsums» sind auf der Internetseite des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (www.kfn.de) abrufbar (unter Mitarbeiter den Direktor anwählen und dort bei den Schwerpunktthemen).