Von Michael Lenzen
Im Rahmen unserer Serie über Gewaltprävention stellen wir heute die Arbeit der psychologischen Beratungsstelle „Herbstmühle“ vor. Dort stehen besonders die Jungen im Blickpunkt.
Wipperfürth - Sie bietet Sprechstunden in den Schulen und ist oft Anlaufstelle für die Pädagogen, wenn es Schwierigkeiten mit Schülern gibt: die Psychologische Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche, kurz „Herbstmühle“ genannt. Getragen wird sie vom Verband der Katholischen Kirchengemeinden im Oberbergischen.
Zuständig ist die Einrichtung für Wipperfürth, Lindlar, Hückeswagen, Radevormwald, Marienheide und Engelskirchen mit rund 100 000 Einwohnern. 1200 Familien betreut die „Herbstmühle“ mit ihren acht Mitarbeitern pro Jahr. Dazu bietet sie Sprechstunden in neun Familienzentren und in Schulen an. „Allein können die Schulen nicht alles leisten“, sagt Leiter Ansgar Nowak. Seit zwölf Jahren arbeitet die Einrichtung mit den Schulen in Wipperfürth zusammen. An den beiden Gymnasien und an der Realschule gibt es eine wöchentliche Sprechstunde. „Mit der Hauptschule und der Förderschule haben wir eine gute Zusammenarbeit“, sagt der Diplom-Psychologe.
„Ich glaube nicht, dass es mehr Gewalt gibt als vor zehn oder 20 Jahren“, so Nowak. Sie werde aber deutlich wahrnehmbarer und sie fange auch deutlich früher an. Das Thema sei auch mehr in der Öffentlichkeit. Zudem würden sich immer mehr Betroffene offenbaren. „Gewalt ist in vielen Familien noch üblich, und das ist erschreckend.“ Meistens seien Jungen und junge Männer gewalttätig, Mädchen deutlich seltener.
Seit einigen Jahren registrieren die Fachleute um Ansgar Nowak eine neue Qualität der Gewalt. Bedingt durch Internetseiten wie etwa Schüler-VZ und Handy-Kameras. „Auf das Poster einer Playmate wurde etwa der Kopf einer Klassenkameradin montiert“, berichtet Sozialpädagoge Norbert Dörper. Oder es würden Fotos unter der Toilettentür hindurch gemacht. Die Bilder würden ins Internet gestellt, dazu kämen Rufschädigung oder Beleidigungen, auch per SMS. „Es gibt keinen allgemeinen Schlüssel wo Gewalt anfängt. Für manche Schüler kann schon das Bloßstellen ein traumatisierendes Erlebnis sein“, sagt Nowak.
Täglich werde in der Schule die Rangordnung, der Stellenwert in der Klasse und im sozialen Umfeld überprüft. Oft durch kleine Reibereien, wie Ärgern oder Schubsen, manchmal auch durch Schlägereien. Und die Experten beobachten noch eine andere Entwicklung: Den durch Eltern hervorgerufenen Leistungsdruck schon in der Grundschule. „Schließlich soll das Kind ja aufs Gymnasium“, so Dörper.
Doch Leistungsdruck sei keine Erklärung für die zunehmende Brutalität und die veränderte Qualität bei der Gewalt. „Es gibt bei einigen Jungen deutlich mehr Kälte, kein Gefühl für sich selbst, und daher auch kein Gefühl für das Gegenüber“, schildert er. Die liebevolle Hinwendung, der Respekt, die Bindung und die Vorbilder fehlten. Dabei sei gerade der persönliche Bezug entscheidend. Deswegen setze die Herbstmühle bei ihrer Jungenarbeit auf Akzeptanz, persönliche Wertschätzung und Verständnis für ihre männliche Persönlichkeit. Wobei die Frage „wann ist Mann ein Mann“ ein gesellschaftliches Problem sein. Es gebe viele Klischees von Siegern und Stärke. Die Anforderungen an Männer seien hoch. Männer strampelten sich ab und verwendeten einen großen Teil ihrer Energie für die Arbeit. Aber das werde kaum gewürdigt. Es fehle die gesellschaftliche Diskussion über die Rolle des Mannes.
Die „Herbstmühle“ will den auffälligen Jungen vermitteln: „Du darfst so sein wie Du bist“. Sie sollen sich mit ihren Stärken und Schwächen kennenlernen, ihre eigenen Bedürfnisse wahrnehmen, für Gewalt sensibilisiert werden. „Es ist wichtig, dass sie lernen, Verantwortung zu übernehmen“, sagt Nowak. In die Arbeit müssten auch die männlichen Bezugspersonen eingebunden werden. „Die Jungen brauchen mehr Männer, die sich in der Erziehung engagieren und sich Zeit nehmen. Jungen benötigen nicht nur Kampf, Druck und Konkurrenz, sondern auch Spaß und Begeisterung mit viel körperlicher Bewegung und sozialem Miteinander.“
In den letzten Jahren habe es viel Aktionen zu Mädchenförderung und Themen wie Sucht und Mobbing gegeben. Für spezielle Jungenarbeit fehlten oft noch konkrete Ansätze und engagierte Männer. „Es ist dringend nötig, dass Jungenarbeit ein wichtiges Thema in jeder Jugendeinrichtung oder Schule wird.“