Schule ist nichts für Jungs


[Online Schule, 12.03.09]

Jungen ecken in der Schule öfter an oder scheitern. Mädchen werden bei gleichen Leistungen besser benotet, behaupten Wissenschaftler. Wer ist schuld an der Bildungsmisere der Jungs?
 
Von FOCUS-SCHULE-Redakteurin Andrea Hennis

Mädchen haben eher ein angepasstes, Jungen ein angespanntes Verhältnis zur Schule. Während Mädchen vorwiegend mit erfreulichen Noten und guten Bildungsabschlüsse glänzen, schlagen sich Jungen verstärkt mit Disziplinarmaßnahmen und Versetzungsvermerken herum. Die Statistiken sprechen eine deutliche Sprache: Förderschüler, Hauptschüler, Schulabbrecher und Sitzenbleiber sind mehrheitlich Jungs. Wird es nicht langsam Zeit, die Förderprojekte für Mädchen einzustellen und dafür lieber dem männlichen Geschlecht auf die Sprünge zu helfen?

Tatsächlich haben sich Bildungsforscher und Erziehungswissenschaftler in den letzten Jahren zunehmend Gedanken gemacht, warum und woran Jungen in der Schule scheitern. Die jüngste Studie kommt vom Aktionsrat Bildung – einem von der Wirtschaft beauftragten Expertengremium –, dessen aktuelles Jahresgutachten „Geschlechterdifferenzen im Bildungssystem" heute in München vorgestellt wird. Auch die Ratgeberliteratur zur Jungenproblematik boomt. An Kritikpunkten mangelt es offenbar nicht.
 
Schlechtere Noten bei gleicher Leistung
 
Jungen und Mädchen würden zwar gemeinsam unterrichtet, aber anders behandelt und unterschiedlich benotet, bemängeln Bildungsforscher. Zwei Drittel ihrer (positiven wie negativen) Aufmerksamkeit widmeten Lehrerinnen und Lehrer den Jungs. Notgedrungen. Die Mädchen würden dafür mit besseren Noten entschädigt. Studien zufolge beträgt der Mädchenbonus für angepassteres Verhalten, aktivere Mitarbeit und „selbstgesteuertes Lernen" bei gleichen Leistungen durchschnittlich eine Note. Keine gute Voraussetzung für Jungen in einem Schulsystem, das Schüler immer noch stark nach Zensuren selektiert.
 
Mädchen sind anders, Jungen auch
 
Dass Mädchen und Jungen unterschiedliche Interessen und Bedürfnisse haben – zum Beispiel beim Bewegungsdrang, beim Leseverhalten und bei der Mediennutzung –, lässt sich nachweisen. Auch die Reifefenster klaffen vor und während der Pubertät deutlich auseinander. Dennoch würden Jungen und Mädchen in der Schule über einen Kamm geschoren, kritisieren Experten. Sie plädieren dafür, Lehrerinnen und Lehrer für eine geschlechterspezifische Pädagogik zu sensibilisieren. Doch noch weiß niemand so genau, an welchen Punkten diese ansetzen müsste und welche Maßnahmen wirklich greifen.
 
Rheinland-Pfalz lässt derzeit drei Ganztagsgrundschulen in einem Modellversuch auf „Jungentauglichkeit" prüfen. Dort werden verstärkt männliche Ansprechpartner eingesetzt und Unterrichtsmaterialien, räumliche Gegebenheiten, Pausen- und Schulhofgestaltung sowie das Verhalten der Lehrkräfte unter die Lupe genommen. „Ziel dieses Modellversuchs ist es, Strategien und Konzepte zu identifizieren, die dann in der Primarstufe insgesamt eingesetzt werden können", formulierte die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Doris Ahnen beim Projektstart.
 
Männer sind beruflich erfolgreicher
 
Ein kleiner Trost: Nach der Schule wird alles anders. Karriere ist nach wie vor Männersache, und auch beim Geldverdienen haben die Männer die Nase vorn. Nicht zuletzt deshalb, weil sich junge Frauen trotz guter Bildungsabschlüsse oft für weniger lukrative und erfolgversprechende Ausbildungs- und Studiengänge entscheiden. Zu diesen zählen übrigens auch Erzieher(in) und Grundschullehrer(in) mit niedrigem Gehalt, wenig gesellschaftlicher Anerkennung und fehlenden Aufstiegschancen. Der Frauenanteil bei den Grundschullehrkräften liegt bundesweit bei 86,9 Prozent, berichtet der Aktionsrat Bildung. Wobei Jungen weibliche Lehrkräfte grundsätzlich schlechter akzeptierten als männliche.