Kleine Racker brauchen starken Mann


[Schweriner Volkszeitung, 03. Juni 2009]

Es gibt Berufe, die als klassische Frauendomänen gelten. Doch immer häufiger erobern sich Männer Krankenhäuser, Kitas oder die Fleischtheke im Supermarkt. So wie Nico Hirsch. Der 37-Jährige hatte gestern seinen ersten Arbeitstag als Erzieher.

KUHSTORF - "Ich finde es gut, wenn sich die Trennung zwischen Frauen- und Männerberufen immer mehr auflöst. Warum soll ein Mann nicht mit Kindern umgehen können, genauso wie eine Frau ja auch ein großes Flugzeug steuern kann. Also, so tolerant sollte man in der heutigen Zeit schon sein. Und außerdem sollte jeder in seinem Beruf glücklich sein und sich wohlfühlen", sagt Petra Linow. Die 50-Jährige leitet seit fast 20 Jahren die Kindereinrichtung im Dorf und hat in dieser Zeit schon viel erlebt. Doch der gestrige Tag war auch für die gebürtige Hagenowerin eine Premiere. Denn ein Mann begann seine Anstellung als Kindergärtner.

"Ich diene mich hier in den nächsten Wochen hoch", schmunzelt Nico Hirsch und meint damit die Tatsache, dass er die Abläufe im "Regenbogenland" detailiert kennenlernen muss. Deshalb beginnt der 37-Jährige auch mit der kleinsten Gruppe und wird perspektivisch gesehen, später für die Vorschulkinder verantwortlich sein. Als ehemaliger Zeitsoldat und Fahrlehrer bringe er die nötige Ruhe und ein gestähltes Nervenkostüm mit, gesteht der gebürtige Kuhstorfer, der von 1975 bis 1978 selbst diese kindliche Stätte besuchte. "Meine Frau ist ebenfalls schon in diesem Kindergarten betreut worden", erinnert sich Hirsch, als starker Mann für die kleinen Racker.

Statistischen Angaben zufolge sind in Kindergärten und Kindertagesstätten nur drei Prozent der Fachkräfte männlich, in der Grundschule nur rund 13 Prozent. "Jungs haben daher außerhalb der Familie kaum männliche Identifikationsfiguren", erklärt der Kuhstorfer seine berufliche Entscheidung. Dafür hat er auch eine dreijährige Fachausbildung zum staatlich anerkannten Erzieher in Hamburg in Kauf genommen. Dafür spricht die Begeisterung, mit der sich Jungen und Mädchen auf jeden Mann stürzen, der in eine Kindertagesstätte kommt - und sei es der unbeholfenste Praktikant oder der unfreundlichste Handwerker. Oder denken Sie, liebe Leser, einmal an die Kinder alleinerziehender Mütter, in deren Leben es in der Regel überhaupt keine Männer gibt. Für eine Beschäftigung von Männern in Kindertagesstätten gibt es also eine ganze Reihe guter Gründe. Männer bringen frischen Wind ins Team und haben Interessen und Sichtweisen, die in Kitas oft zu wenig berücksichtigt werden. Manche jungen- und männertypische Interessen und Bedürfnisse kommen im normalen Kita-Alltag zu kurz, weil viele Frauen nur wenig darauf eingehen. Raufen und Toben, sich für Handwerkliches und Technik begeistern, Klettern und körperliche Grenzen austesten: Das alles können Frauen zwar prinzipiell auch, aber oft haben sie dazu einfach keine Lust oder Zeit.

Manche schwierigen Verhaltensweisen von Jungen hängen damit zusammen, dass sie beweisen wollen, wie "männlich" sie sind - wobei sie viel zu wenig darüber wissen, wie Männer wirklich sind, nämlich durchaus nicht immer stark, überlegen, erfolgreich und ohne Angst. Um das herauszufinden, bräuchten sie mehr Männer in ihrem Alltag, mit denen sie die ganze Bandbreite menschlicher Gefühle und Verhaltensweisen erleben könnten. Kinder orientieren sich allerdings nicht nur an Vorbildern des eigenen Geschlechts.

Jungen grenzen sich zwar auf ihrer Suche nach Männlichkeit manchmal sehr von Frauen und allem "Weiblichen" ab, aber sie übernehmen auch Sichtweisen ihrer Mütter und anderer Frauen und möchten von ihnen geliebt und bewundert werden Umgekehrt brauchen auch Mädchen Männer. Sie werden selbstbewusster, wenn sie von ihren Vätern und anderen Männern ernstgenommen und unterstützt werden. Schließlich: einen partnerschaftlicher Umgang, in dem Frauen und Männer einander mit Wertschätzung und Respekt begegnen, können Jungen und Mädchen nur dann erleben, wenn es in ihrem Alltag auch Männer und Frauen gibt.

"Es ist zwar noch total komisch für uns, dass jetzt ein Mann bei uns mit am Tisch sitzt, aber wir sind völlig vorurteilsfrei", betont Petra Linow, die insgesamt sechs Erzieher und eine technische Kraft in der 1956 erbauten Einrichtung anleitet.