Jungen geraten ins Hintertreffen

[nnonline, 6.8.2009]

«An Grundschulen unterrichten zu wenig Männer» - Bessere Noten für Mädchen

An Grundschulen sind nicht einmal fünfzehn Prozent der Lehrkräfte männlich. Die Gefahr: Die Bedürfnisse der Buben kommen zu kurz. Wir haben mit Wolfgang Rothemund gesprochen, Vater von vier Jungen und Leiter der Grundschule Bismarckstraße.

Herr Rothemund, warum ist es von Nachteil, dass so wenige Männer an Grundschulen unterrichten?

Wolfgang Rothemund: Es wäre kein Nachteil, würden Lehrkräfte nicht immer auch tradierte Rollenerwartungen weitergeben, das aber geschieht unbewusst. Und da so wenige Grundschulpädagogen männlich sind, sind es vor allem Frauen, die Verhaltensmuster vermitteln und Rollenerwartungen an die Schüler stellen. Das bringt ein Ungleichgewicht mit sich.

Die Eichstätter Pädagogikprofessorin Klaudia Schultheis sagt, die Grundschule sei sehr mädchenorientiert geworden. Wie zeigt sich das?

Rothemund: Die Schüler müssen lange stillsitzen, sollen gut zuhören können, schöne Bilder malen - hier sind Mädchen einfach besser. Studien zeigen auch, dass es einen geschlechterspezifischen Wortschatz gibt. Jungen reden gern über Sport und Autos, Mädchen über Puppen und Mode. Die Sprache im Unterricht sollte beiden Geschlechtern gerecht werden, was aber nicht immer der Fall ist. Das alles kann dazu führen, dass Jungen leichter ins Hintertreffen geraten.

Liegen hier auch Gründe, dass Lehrerinnen bei gleichen Leistungen Jungen schlechter bewerten als Mädchen? Das ergaben Iglu- und Pisa-Studie . . .

Rothemund: Mädchen sind bei der Einschulung reifer und sprachlich gewandter als Jungen. Sie sind feinmotorisch begabter und können schöner schreiben. Sie sind empathischer als Jungen. Das kommt bei Lehrerinnen gut an. Die Vermutung liegt nahe, dass dies - unbewusst - auch zur besseren Benotung von Mädchen führen kann.

Woran zeigt sich noch der Mangel an männlichen Grundschullehrern?

Rothemund: Typisch männliche Verhaltensstereotypen werden von weiblichen Lehrkräften oft früh unterbunden. Eine kleine Rangelei wird schnell als unangebrachte Gewalt gesehen. Dabei geht es hier meist um Hackordnung, das muss auch mal sein, ist Teil der Rollenfindung. Oder: Einmal, zur Fußball-WM, fragte eine Lehrerin, ob ich es nicht unterbinden könne, dass Jungen ihre Fußballbildchen tauschen. Manchmal fehlt einfach Verständnis für Jungen und ihre Art.

Wäre es wirklich ein Nachteil, ginge es im Alltag weniger raubeinig zu?

Rothemund: Es geht hier um anderes: darum, in der Schule die Eigenarten der Geschlechter zu berücksichtigten. Jungen bilden beispielsweise im Lauf ihres Lebens doppelt so viel Muskelmasse aus wie Mädchen, also auch mehr Nervenbahnen. Das heißt, sie müssen sich mehr bewegen, sonst leidet ihre geistige Entwicklung. Daher sollte Unterricht möglichst handlungsorientiert sein. Das kommt den Bedürfnissen der Jungen entgegen.

Was heißt «handlungsorientiert»?

Rothemund: Ein Beispiel aus dem Englischunterricht: Wenn Kinder Vokabeln für «rechts», «links» oder «geradeaus» lernen, muss ich sie auch gehen und gleichzeitig sprechen lassen. Oder: Lernen die Schüler im Sachunterricht die Himmelsrichtungen, ist es sinnvoll, wenn sie mitsamt Kompass bei Sonnenschein ins Freie gehen. Eine spezielle Jungenförderung ist also nicht einmal nötig, wohl aber handlungsorientierter Unterricht.

Und damit wird man dem Bewegungsdrang von Jungen gerecht?

Rothemund: Jungen müssen natürlich auch mal toben und rangeln dürfen. Nicht alles darf sofort unter Gewaltverdacht gestellt werden . . .

Und wenn doch über die Stränge . . .

Rothemund: . . . muss man es nicht immer vor der Klasse ausdiskutieren. Bei Jungen kann es auch sinnvoll sein, sie in strengem Ton zur Räson zu rufen. Das reicht manchmal schon, damit sie von selbst einen Weg finden, ihre Konflikte beizulegen.

Welche Unterschiede gibt es noch?

Rothemund: Jungen lernen mehr über Versuch und Irrtum, experimentieren lieber und er-leben gern den Sachverhalt. Mädchen hingegen wollen vorher erklärt haben, worum es geht. Um auf die Bedürfnisse von Jungen einzugehen, sollten wir also mehr Experimente durchführen und naturwissenschaftliche Themen aufgreifen - am besten schon im Kindergarten.

Warum gibt es eigentlich so wenige Männer an Grundschulen? Liegt es nur an der schlechten Bezahlung?

Rothemund: Die Frage ist, warum es so viele Frauen gibt. Ein Grund ist sicherlich, dass es kaum einen akademischen Beruf gibt, mit dem sich familiäre und berufliche Interessen so gut vereinbaren lassen. Männer streben außerdem mehr in Berufe, die ihnen Aufstiegsmöglichkeiten bieten . . .

Der frühere Kultusminister Schneider meinte, hier müsse sich etwas ändern - hat sich etwas geändert?

Rothemund: In Bayern können künftig nicht nur Gymnasiallehrer befördert werden, ohne eine Funktion zu übernehmen, sondern auch Grund-, Haupt- und Realschullehrer. Wer gut ist, kann befördert werden und mehr verdienen. Dieser Ansatz ist richtig.

Interview: Andreas Dalberg