Mädchen-freier Unterricht könnte Buben helfen [CH]


[20 Minuten, 24. April 2013]

MÄDCHENSCHULE GYMI

von Jessica Pfister - Mädchen sind in Schweizer Gymnasien deutlich übervertreten. Nun liebäugeln Bildungsexperten damit, Buben und Mädchen fächerweise getrennt zu unterrichten.

Gymnasien sind heute überwiegend Mädchenschulen. Das zeigen die neusten Zahlen aus den Kantonen. In Zürich beträgt der Mädchen-Anteil an Gymis laut dem «Tages-Anzeiger» über 55 Prozent. In St. Gallen waren von den 914 Schüler, die dieses Jahr den Sprung ans Gymi geschafft haben, 59 Prozent Mädchen und in Bern - wo der grösste Teil der Jungendlichen mit Empfehlung und nicht mit einer Prüfung ins Gymi kommt - liegt die Quote seit mehreren Jahren bei 60 zu 40 Prozent.

Auch in Liestal (BL), wo Lehrerverbands-Präsident Beat W. Zemp unterrichtet, ist das Ungleichgewicht der Geschlechter spürbar. «In unserem Schulhaus musste ein Teil der Bubentoilletten zu Mädchentoilletten umfunktioniert werden.» Ein Grund für die Entwicklung sieht Zemp in der Ausrichtung der Gymnasien: «Weil die Sprachen heute stärker gewichtet werden, ist das Gymi für junge Frauen attraktiver». Dafür würden sich junge Männer häufiger für die Berufsbildung entscheiden.

Abhilfe schaffen soll laut Zemp die Revision des Maturitätsanerkennungs-Reglements und der Lehrplan 21 für die Volksschulen. «Künftig sollen naturwissenschaftliche Fächer stärker gewichtet und das Fach Informatik aufgewertet werden.» Handlungsbedarf sieht Zemp zudem bei den Lehrpersonen, die an den Volksschulen vor allem Frauen sind. Eine weitere Idee ist ein getrennter Unterricht von Mädchen und Buben. «Man weiss aus Studien, dass Schülerinnen und Schüler in Teilbereichen wie beispielsweise Algebra geschlechtergetrennt bessere Ergebnisse erzielen», so Zemp.
«Buben lernen anders als Mädchen»

Für Markus Theunert, Präsident von «männer.ch» macht der geschlechtergetrennte Unterricht in einzelnen Fächern wie Algebra durchaus Sinn. «Buben lernen anders als Mädchen, sie brauchen mehr Bewegung und Action, Mädchen reden lieber - darauf könnte eine Lehrperson dann besser eingehen.» Damit könne man auch die gesellschaftliche Verunsicherung über die Rollenbilder angehen. «Heute halten Buben lieber den Mund, wenn sie sich bei einer Antwort nicht sicher sind.»

Die Idee eines getrennten Unterrichts wird auch im Kanton St. Gallen diskutiert. Christoph Mattle, Amtsleiter Mittelschulen erwägt ein Pilotprojekt: «Es würde mich reizen einen Versuch zu starten und dies wissenschaftlich zu begleiten.» Für Mattle ist aber auch wichtig, dass - bei guten Erfahrungen - ein zeitweise getrennter Unterricht schon in der Volksschule angewendet wird. Zumindest als prüfenswert bezeichnet CVP-Bildungspolitiker und ehemaliger Gymi-Rektor Ivo Bischofberger den Vorschlag. Allerdings sagt er auch: «Mit der heutigen Pädagogik müsste es möglich sein, auf die unterschiedlichen Bedürfnisse von Jungen und Mädchen im gemischten Unterricht einzugehen.» Das sieht Lehrer und SVP-Politiker Oskar Freysinger gleich. «Später im Berufsalltag müssen sie sich auch neben dem anderen Geschlecht beweisen.»
«Buben sind nicht dümmer als Mädchen»

Für Erziehungsberater und Kinderarzt Remo Largo sind dies alles «hilflose Vorschläge». Er verlangt eine komplette Umkrempelung des Schulsystems. «Vor den 80-er Jahren hat man Buben mit einem weniger hohen Notenschnitt als Mädchen ins Gymi gelassen - seit dies nicht mehr so ist, haben die Probleme angefangen.» Mädchen seien nun mal vor dem Übertritt ins Gymnasium eineinhalb Jahre reifer als Buben. Diesem Umstand müsse Rechnung getragen werden. «Anzunehmen, Buben seien dümmer als Mädchen, ist völlig falsch.»