Die Schule ist weiblich

[PNP.de, vom 15.10.2008]

Pädagogen schlagen Alarm: Es gibt kaum noch Männer an Grundschulen. Kann d, as ohne Folgen bleiben für die Buben?

Von Birthe Bruhns

Man kann mitunter lange durch ein Schulhaus streifen, bis man auf einen Mann trifft. Und dann ist es meist der Hausmeister. In den Klassenzimmern, vor allem der Grundschulen - Fehlanzeige. Da stehen im Freistaat zu rund 87 Prozent Frauen vor den Tafeln, so das Ergebnis des Bayerischen Landesamts für Statistik. Mütter, Kindergärtnerinnen, Lehrerinnen - in Deutschland dominieren die Frauen das Leben der Jungen. „Den Kindern fehlt ein männliches Rollenbild. Das kann besonders bei Jungen zu erheblicher Verunsicherung bis hin zu psychischen Auffälligkeiten führen“, warnt der Präsident des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV), Klaus Wenzel. Sein dringender Appell: „Wir brauchen mehr Lehrer an den Grundschulen.“

Mittlerweile sind Buben die Bildungs-Sorgenkinder der Nation. Statistiken zeigen, dass sie in Bayern an Haupt- und Förderschulen dominieren und häufiger die Schule abbrechen als Mädchen. Im Schuljahr 2003/2004 verließen laut Kultusministerium mehr als doppelt so viele Buben wie Mädchen die Hauptschule ohne Abschluss. Auch im Gymnasium und an Universitäten hat die Zahl der Mädchen mittlerweile die der Jungen überholt. Eine Ursache könnte eine aktuelle Untersuchung des Konstanzer Bildungsforschers Thomas Hinz und des Münchner Sozialwissenschaftlers Jochen Groß zu Schul-Übertritten in Bayern liefern: Buben bekommen demnach seltener eine Empfehlung fürs Gymnasium. Und sie landen mit höherer Wahrscheinlichkeit auf einer Haupt- als auf einer Realschule.

Der familienpolitische Sprecher der Union, Johannes Singhammer, sieht in der Überzahl der Grundschullehrerinnen auch einen Anhaltspunkt für die zunehmend schlechten Schulnoten der Jungen und forderte gegenüber der PNP gezielte Fördermaßnahmen für Buben in den Schulen: „Man muss prüfen, wie Bund und Länder hier gegensteuern können.“ Dies sei auch ein Thema für den Bildungsgipfel in der kommenden Woche.Noch in den 60er Jahren waren über die Hälfte der Grundschullehrkräfte in Deutschland Männer - 2007 war ihr Anteil nach Angaben des Statistischen Bundesamtes auf gerade einmal zwölf Prozent geschrumpft (in Bayern: rund 13 Prozent). Nur an weiterführenden Schulen ist der Männeranteil noch fast genauso groß wie der der Lehrerinnen. Aber auch hier sind die Zahlen rückläufig.Der weibliche Einfluss auf die Buben wird noch durch andere Entwicklungen verstärkt. Denn auch die Zahl der Alleinerziehenden ist in den letzten zehn Jahren stark angestiegen. Laut Statistischem Landesamt wachsen inzwischen in jeder fünften Familie Kinder nur bei einem Elternteil auf, und das ist im Regelfall die Mutter. „Gerade bei Jungen, die vaterlos aufwachsen, kann man Orientierungsprobleme beobachten“, sieht sich BLLV-Präsident Wenzel in seiner Forderung nach mehr männlichen Lehrern bestätigt. Den Grund für das Verschwinden der Männer aus den Grundschulen erklärt Waltraud Cornelißen vom Deutschen Jugendinstitut, die eine Studie für das Bundesfamilienministerium herausgibt: „Die Arbeit mit kleinen Kindern ist in den Köpfen nach wie vor Frauensache. Das gilt auch für die Schule.“ Hinzu komme die geringere Bezahlung als an Realschule und Gymnasium und sinkendes berufliches Prestige.Konrektor Richard Lang aus Bodenmais ist einer der wenigen Männer, die das alles nicht abgehalten hat, Grundschullehrer zu werden: „Geld ist nicht alles. Und in diesem Alter haben die Kinder Spaß am Lernen und sind noch formbar.“ Der 40-Jährige ist der einzige männliche Klassleiter für Grundschüler an der Volksschule Bodenmais und bedauert, dass nicht mehr Männer seinen Beruf ausüben. „Rollenvorbilder sind für Jungen im Alltag oft nicht greifbar.“ Viele Väter kämen erst spät von der Arbeit, und Idole wie Fußballspieler blieben für die Schüler unerreichbar. Dass sich durch mehr männliche Lehrkräfte die Noten der Jungen verbessern würden, bezweifelt er zwar. Aber: „Ich habe schon das Gefühl, dass viele Buben froh sind, einen Lehrer zu haben.“ Das bestätigt Tobias Krenn, den Lang in der vierten Klasse als Klassleiter unterrichtet hat: „Ich fand es super - ich bin schließlich auch ein Bub“, sagt der Zehnjährige, der gerade mit der fünften Klasse der Volksschule Bodenmais begonnen hat und sich nun wieder an eine Klassenlehrerin gewöhnen muss. Auch Psychologie-Professorin Gisela Steins von der Universität Duisburg-Essen sieht in der Überzahl weiblicher Lehrkräfte nicht die Ursache für das schlechtere Abschneiden der Buben. Auch als noch mehr Männer an Grundschulen lehrten, hätten die Mädchen bessere Noten mit heim gebracht. Wie auch die Autoren der gerade veröffentlichten Untersuchung des Bundesfamilienministeriums „Neue Wege für Jungs“ hält Steins die Vorstellung der Buben von Männlichkeit für entscheidend: Faul, cool, witzig und frech zu sein, entspricht demnach eher dem „typischen“ Jungen, als fleißig und brav die Schulbank zu drücken - das ist Mädchensache. Das Bild vom „echten Mann“ spielt den Jungen auch in der Erziehung einen Streich: „Sie lernen sehr viel weniger konformes Verhalten als Mädchen, von denen man stärker erwartet, dass sie sich anständig benehmen. Buben sind deshalb einfach schlechter auf die Schule vorbereitet“, sagt Steins, die Erziehungswissenschaften und Sozialarbeit an der Bildungswissenschaftlichen Fakultät unterrichtet. Väter spielen beispielsweise dreimal so häufig wild und ausgelassen mit ihren Söhnen wie mit ihren Töchtern. Doch in der Schule ist Stillsitzen gefragt.

Aus seiner Erfahrung heraus bestätigt Grundschullehrer Richard Lang die Aussagen der Forscherin: „Mädchen tun eher, was man ihnen sagt, und stören weniger, weil sie besser ruhig sitzen können. Wenn eine Aufgabe kniffelig wird, werfen Jungen tendenziell schneller hin - Mädchen fällt es leichter, mit Fleiß durchzuhalten.“Und noch eine Ursache hat Steins ausgemacht: „Jungen mit Problemen kommen meist aus bildungsfernen Schichten mit traditionellem Rollenverständnis.“ Diese Kinder hätten oft nicht gelernt, für ihr Handeln Verantwortung zu übernehmen und beschuldigten den Lehrer, wenn sie eine schlechte Note bekämen. Anstatt dann mehr zu lernen, ließen sie nach. Bei der wachsenden Zahl von Jungen aus Einwanderer-Familien komme noch ein Aspekt hinzu: Wegen der traditionellen Vorstellungen in ihren Familien hätten sie Probleme, eine Frau als Autoritätsperson zu akzeptieren.Also braucht Deutschland doch mehr Männer an den Grundschulen? Steins, die auch angehende Lehrkräfte unterrichtet, hat eine andere Antwort: „Die Lehrer müssen das Sozialverhalten der Kinder durch Rollenspiele und Gespräche in der Schule trainieren.“ In den USA sei das bereits Teil des Unterrichts. „Das muss endlich auch bei uns in die Lehrerausbildung.“Lang, der Mann aus der Praxis, hat seine eigenen Lösungen: Er versucht mit Gruppenarbeit, soziale Fähigkeiten zu stärken. „So müssen die Jungen sich auch mit jemandem auseinandersetzen, den sie nicht so gerne mögen - das fällt ihnen schwerer als Mädchen.“ Zappelige Schüler lässt der Bodenmaiser ihren Bewegungsdrang so weit wie möglich ausleben - auch mit unkonventionellen Methoden: „Ich hatte einmal einen Schüler, der jede Stunde auf die Toilette laufen durfte. Der kurze Weg reichte ihm schon, um ruhiger zu werden.“ Ähnlich positive Effekte beobachtete Lang während des Projekts „Voll in Form“ des Kultusministeriums, für das Bodenmais Modellschule war: An Tagen, an denen kein Turnen auf dem Stundenplan steht, machen die Schüler trotzdem 20 Minuten lang Sport. „Ich fand es super, dass wir uns vor der Pause zu Musik bewegen oder durch das Klassenzimmer rennen durften“, sagt Tobias. Ab diesem Schuljahr wird das Projekt, das Ernährung und Bewegung fördern soll, an allen Grundschulen in Bayern durchgeführt.

In Sachen Jungen-Förderung sieht es an Bayerns Grundschulen hingegen düster aus: Die Programme des Kultusministeriums sind erst für Schüler ab der fünften Klasse. Fürs kommende Jahr ist eine Fachtagung zum Thema geschlechterbewusste Bildung und Erziehung an Schulen geplant. Bis es Ergebnisse gibt, bleiben die Buben mit ihren Schulproblemen allein.