Medizin-Tests: Wissenschaftlerinnen für Koedukation, "aber manchmal hilft Trennung"

[dieStandard.at, 29. Mai 2008]


Brinek, Schroeder und Pellert: Genderthematik kaum in LehrerInnen-Ausbildung verankert - Auch positive Diskriminierung für Männer im Volksschulbereich denkbar


Wien - Keine einfachen und kurzfristigen Lösungen haben Wissenschafterinnen für das schlechtere Abschneiden von Frauen bei den Aufnahmetests für das Medizinstudium parat. Einigkeit herrschte zwischen der Bildungswissenschafterin und VP-Wissenschaftssprecherin Gertrude Brinek, der Molekularbiologin Renee Schroeder und der Weiterbildungsforscherin Ada Pellert bei einem Pressegespräch am Donnerstag in Wien aber, dass in der LehrerInnen-Aus- und -Weiterbildung angesetzt werden müsse. Einem Aufnahmeverfahren für angehende Lehramts-StudentInnen stehen alle drei positiv gegenüber, Bildungsstandards könnten die Situation ebenfalls verbessern.


Bildungsstandards auch in Österreich einführen


Für die Zulassung zum Medizin-Studium werden seit 2006 verschiedene Eignungstests eingesetzt. Bei allen Tests haben Frauen dabei schlechter abgeschnitten als Männer, besonders hoch waren die Unterschiede zwischen österreichischen Frauen und österreichischen Männern, bei den deutschen BewerberInnen waren die Differenzen wesentlich geringer bzw. sogar nicht mehr signifikant.

Schroeder vermutet die Gründe für das bessere Abschneiden deutscher Bewerberinnen darin, dass es in Österreich immer geheißen habe, dass "die Noten egal sind, Hauptsache man hat die Matura". Der Eignungstest für das Medizinstudium sei dann die erste kompetitive Prüfung, während es etwa in Deutschland schon in der Schule mit Blick auf den Numerus Clausus wettbewerbsorientierter zugeht. Bildungsstandards könnten nach Ansicht aller drei Wissenschafterinnen helfen, auch in Österreich früher eine Art Wettbewerb herzustellen.

Art des Unterrichts ändern


Die Trennung der naturwissenschaftlichen Fächer in Physik, Chemie und Biologie möchte Schroeder anfangs aufheben. Auch die Art des Unterrichts müsse verändert werden: Kinder hätten kaum mehr die Möglichkeit, eigenständig Fragen zu stellen und ihre Neugier auszuleben, weil diese "ständig mit Fakten neutralisiert" werde. Das "Schrecklichste" sind für sie "Lückentests" zum Einsetzen. In den USA sei dies anders: Dort würden die Kinder weniger Fakten lernen, sondern eher, wie man damit umgehe. LehrerInnen müssten daher wissen, wie man den Kindern das Fragen beibringe - "das ist absolut genderneutral".

Ja zur Koeduaktion, aber...

Ein Abgehen von der Koedukation kommt für Schroeder grundsätzlich nicht in Frage - "aber vielleicht braucht man Stunden, wo man unter sich sein kann". Auch Pellert meinte, dass "manchmal eine Trennung hilft". Brinek betonte, dass man von einer generellen Trennung der Geschlechter abgekommen sei, obwohl etwa die Selbstdarstellung vor dem anderen Geschlecht wegfalle. Allerdings müsse man ebenso aus einer "naiven Koedukation" herauskommen, die sich darauf beschränke, Burschen und Mädchen einfach nebeneinander zu setzen.

Kein Bewusstsein für Genderfragen

In der derzeitigen Lehrerausbildung sei die Genderthematik nach wie vor nicht ausreichend verankert, verwies Brinek auf eine bereits 2001 erschienene Studie von Erika Hasenhüttl. Demnach zeigten angehende LehrerInnen kein Bewusstsein für Genderfragen und durchwegs traditionelle Vorstellungen von Geschlechterrollen. Dies werde dann auch später in der Notengebung transportiert: Wenn - wie auch die Studie der Bildungspsychologin Christiane Spiel gezeigt habe - die Mädchen für die Reproduktion klassischer Geschlechterrollen belohnt würden, sei es auch kein Wunder, wenn sie diese Chance nützen.

Positive Diskriminierung

Brinek plädiert auch dafür, aufgrund der fast vollständigen weiblichen Dominanz im Volksschulbereich zugunsten der Männer positiv zu diskriminieren. Dies könne man zur Not auch verfassungsgesetzlich absichern. (APA)