[Welt Online, 22. Februar 2010]
Mit dem Mann ist nicht mehr viel los. Das geben inzwischen selbst Männer zu. Was tun? An der Uni Düsseldorf suchte man am Wochenende nach Lösungen - ein paar Ansätze fand man sogar
Es ist gegen 12 Uhr mittags, als Professor Matthias Franz, der an der Uniklinik Düsseldorf psychosomatische Medizin lehrt, ein Stück Papier hervorzieht und eine Heldentat verkündet: Der Schauspieler Ingo Naujoks steigt aus seiner Rolle im "Tatort" aus. Beifall brandet im Roy-Lichtenstein-Hörsaal der Düsseldorfer Universität auf. Naujoks, fast acht Jahre lang als Babysitter und Frühstücksmacher in der Softie-Rolle, emanzipiert sich, will nicht länger im Schatten der starken, spröden Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) stehen. Für die Männer hier im Raum - der Anteil liegt bei circa 70 Prozent - ist das Balsam. Da lässt sich einer mal nicht mehr entwürdigen. Da ist einer Mann und spielt mit den Muskeln.
Es steht nicht gut um den Mann, wenn er sich schon an Fernsehrollen aufrichten muss. Und so fand am Wochenende etwas statt, das nach Aussagen vieler der männlichen Teilnehmer längst überfällig war: ein Männerkongress. Der Titel wurde in der vorsichtigen Frage verpackt: "Neue Männer - muss das sein?" Und in der Unterzeile: "Über den männlichen Umgang mit Gefühlen."
Und so sprechen Professoren hier über den kranken, den verlassenen, den vaterlosen und den entwerteten Mann. Frauen kritisieren, dass der Mann sich in eine weibliche Rolle zurückzieht. Und der Mann selbst? Ratlos. Einer fragt tatsächlich: "Warum haben Männer Brustwarzen?" Die launige Antwort eines Vertreters der akademischen Zunft zur Schöpfung: "Es war billiger, die Dinger dran-, als sie wegzulassen."
Es ist, als ob da ein Patient auf dem Operationstisch liegt und den Arzt vergeblich bittet, ihn aufzuschneiden und zu heilen. Die Teilnehmer, darunter Mediziner und Pädagogen, wälzen Probleme wie: Muss ein Mann sich auf alte Stärken besinnen oder gemeinsam mit den Frauen nach dem neuen Mann suchen? Kurz formuliert: Mag er's kuschelig oder hart?
Die Frauen nämlich sind ihm nicht ebenbürtig, viel schlimmer, sie haben ihn überholt. Schon der Ort der Veranstaltung ist fest in weiblicher Hand: an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität gibt es 60 Prozent Studentinnen. Von allen, die in Deutschland das Abitur absolvieren, sind inzwischen 57 Prozent weiblich. Selbst die letzte männerdominierte Bastion Mathematik soll schon bald fallen. Frauen gelten als konzentrierter. Unter den Schulabbrechern finden sich heute mehr Jungen (60 Prozent) als Mädchen. Frauen leben länger als Männer, im Schnitt fünf Jahre. Männer begehen häufiger Selbstmord. Frauen reichen öfter als die Männer die Scheidung ein. Dann werden Frauen auch noch Fußball-Weltmeister - und so ließe sich die Reihe fortsetzen. "Die Situation des Mannes in den Bereichen Bildung, Gesundheit, aber auch Identität ist teilweise desolat", sagt Professor Franz, einer der Organisatoren des Kongresses, und schiebt hinterher: "Männer haben noch nicht gelernt, auf diese Problemlagen und Notsituationen aufmerksam zu machen."
Der Soziologe Klaus Hurrelmann ist ein drahtiger, agiler Mann. Als er auf dem gelben Linoleumboden, eingerahmt von vier mehr als mannshohen Büropflanzen, ans Mikrofon tritt, spricht er schnörkellos. Junge Frauen wollten heute Karriere und Familie. Junge Männer dagegen hingen zu 60 Prozent an dem traditionellen Männerbild. Sie dächten, sie seien die Brotverdiener und Familie sei Frauensache. Das führe zu Beziehungsproblemen. Er empfiehlt dem "neuen Mann" eine Erweiterung der Rolle, er soll andere Bereiche für sich erschließen. Sich nicht nur im Männerbereich Mathematik, sondern auch im Frauenbereich Sprachen engagieren. Und er soll sich nicht zu schade für pädagogische Berufe sein: Gerade in der frauendominierten Erziehungsarbeit werde er gebraucht. Also: Männer in die Kitas? Ein Zwischenrufer quittierte das mit der Bemerkung: "Schlecht bezahlt. Deshalb ist der Anreiz für Männer gering." Manches spricht hier für sich. Und doch werden die Wissenschaftler am Ende des Kongresses einen Gleichstellungsbeauftragten für Männer fordern. Und Hurrelmann regt an, nach einem "Girls Day" auch einen "Boys Day" einzuführen. An dem könne man den Jungen neue Rollenmuster vermitteln - und die eigentlich eher weiblichen Berufe früh genug für die Männer interessant machen.
Ein düsteres Bild herrscht bei den Scheidungsraten. Nicht der Mann entscheidet nämlich, wann eine Beziehung beendet ist, sondern immer mehr sie. Der verlassene Mann kommt damit "ganz schlecht zurecht", diagnostiziert der Soziologe Gerhard Amendt. Dissonanzen in der Partnerschaft erkenne er oft gar nicht und ist dann auch dementsprechend überrascht. Auf einmal hört für ihn das so wichtige Zusammenspiel von Beruf und Familie auf zu existieren. Männer reagieren, wie Amendts Untersuchung ergab, trotzig: Die einen stürzen sich ins Berufsleben, andere sagen, dass sie der Beruf nicht mehr interessiere. Kommt es nach der Trennung zu Streit unter den ehemaligen Partnern, hat Amendt beobachtet, dass Männer oft das Geld als Waffe verwenden, die Frauen dagegen die Kinder. Umgang und Unterhalt so zu regeln, dass diese Konflikte nicht ausbrechen, fordert er. Zumindest dieser Mann hat gut reden - der Applaus seines Publikums ist Amendt sicher.
Mittlerweile wächst jedes fünfte Kind in Deutschland in einer Ein-Eltern-Familie auf. 85 Prozent der Alleinerziehenden sind Mütter. Viele Kinder bemängeln, ergab eine Untersuchung, dass sie den Vater zu selten sehen und vermissen. Trennungen können bei Kindern unter anderem zu Leistungsstörungen, verzögerter Sprachentwicklung und geringerem Selbstwertgefühl führen.
Viele Männer gaben in Amendts Untersuchung an, dass sie nach einer Trennung unter vorübergehenden (29 Prozent) oder ständigen (24,8 Prozent) seelischen Beschwerden litten. Nur - ist ein Mann noch ein Mann, wenn er statt eines Beinbruchs wegen seelischer Leiden den Arzt aufsucht? Wer psychisch leidet, kriegt schnell den Weichei-Stempel aufgedrückt. "Männer sollten Krankheitssignale ernst nehmen und ihren Körper nicht wie eine hyperaktive Maschine missbrauchen. Sie sollten den Mut haben, früh zum Arzt zu gehen und sich anzuvertrauen", sagt Professor Franz. Und was zeigen all diese Worte, all diese Statistiken?
Der Mann ist zerrissen zwischen den Ansprüchen, die die Frau heute an in stellt, und dem Familienbild, dass ihm über Jahrzehnte mitgegeben wurde. Er soll ein bisschen Macho sein, aber auch ein bisschen Frau. Er soll Versorger, aber auch verantwortungsvoller Familienvater sein. Er soll und soll und soll. Und muss nun nach der Frauenbewegung eine Männerbewegung her, aus der er neues Selbstvertrauen schöpfen kann? Der Baseler Männerforscher Walter Hollstein provoziert mit seinem Bild vom Abschied des starken Mannes am meisten und angenehmsten. Männer seien im Laufe der Geschichte um viele ihrer Fähigkeiten enteignet worden. In der feministischen Literatur wurden Männer mit Nazis gleichgesetzt, ja ihre Vernichtung ausgerufen. Negative Bilder des Maskulinen seien in den Medien weit verbreitet, auch habe man sich fast schon daran gewöhnt, auf Kosten der Männer zu lachen. Soll sich der Mann heute statt in der Auseinandersetzung mit der Frau lieber allein auf die Suche nach dem Männlichen begeben? Doch die Abgrenzung, das zeigte eine Diskussion, ist nicht die Sache des modernen Mannes. Er mag es, so scheint es, eher kuschelig, ohne Reibung.
Vielleicht liegt es aber auch daran, dass so viele Frauen da sind. Denn Männer, so gab mancher der anwesenden Therapeuten zu bedenken, reden offener, wenn sie unter sich sind. Der muntere Professor Hurrelmann bringt es mit diplomatischem Geschick auf den Punkt: "Der neue Mann kann nur so gut sein wie die neue Frau." Ohne Gegensätze anscheinend kein Miteinander. Der verlässliche, ebenbürtige, aber auch so andere Partner muss her. Kurz vor dem Ende fragt einer der Redner nach dem Künstler, der das Plakat zu dem Männerkongress angefertigt hat. Es zeigt einen jungen Typen, der in seiner Hand einen Akkuschrauber hält. Der Redner fragt, ob der Künstler im Saal sei. Er möchte ihn beglückwünschen. Leider war er aber nicht anwesend. Das Plakat ist übrigens von einer Frau.