Von: Ullrich Rothe
Mittelständische Unternehmer beklagen seit Jahren, dass immer mehr Bewerber für einen Ausbildungsplatz nicht ausreichend qualifiziert sind. Bildungspolitiker sprechen von schlauen Mädchen und dummen Jungs. Die geschlechterpolitische Initiative MANNdat schlägt Alarm.
(MANNdat/eigBer.) - Alle objektiven Studien unabhängiger Fachleute zeigen erhebliche geschlechterspezifische Unterschiede, vorwiegend zuungunsten der Jungen. Der Aktionsrat Bildung widmet sein Jahresgutachten 2009 speziell diesem Thema und stellt fest, dass Disparitäten zum Nachteil von Jungen entstanden sind.
Der Bildungsbericht 2008 kommt zu dem Ergebnis, dass es neue Problemlagen bei Jungen gibt und das Risiko für Jungen und junge Männer zunimmt, im Bildungssystem zu scheitern. Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung spricht von einer „Bildungskrise der jungen Männer“.
Jungen stellen über 60% der Sonderschüler. Sie haben die signifikant höhere Schulabbrecherquote und die signifikant niedrigere Abiturquote. Der Anteil männlicher Schüler in Gymnasien sank von 56% im Jahr 1970 auf 43% im Jahr 2006. Der Bildungsbericht der Stadt Freiburg spricht sogar von lediglich nur noch 40% Anteil männlicher Schüler mit allgemeiner Hochschulreife.
Fatales Signal
Das Bundesjugendkuratorium hat im September 2009 eine offizielle Stellungnahme „Schlaue Mädchen – Dumme Jungen? Gegen Verkürzungen im aktuellen Geschlechterdiskurs“ zu den Ergebnissen von Fachleuten veröffentlicht, die einhellig eine problematische Bildungs- und Arbeitsmarktsituation von Jungen konstatieren.
Das Bundesjugendkuratorium hat wesentlichen Einfluss auf die Bildungs- und Jugendpolitik, da es die zuständigen Ministerien berät. Die Stellungnahme des Bundesjugendkuratoriums ist deshalb eine sehr wichtige Aussage der Bildungs- und Jugendpolitik in Deutschland. Sie gibt damit einen Trend der Bildungs- und Jugendpolitik auf Bundesebene in den nächsten Jahren, wenn nicht sogar Jahrzehnten, wieder.
Die vom Bundesjugendkuratorium verfasste Stellungnahme ist jedoch keine objektive Abwägung verschiedener Ansätze zur Jungenförderung. Sie stellt vielmehr eine subjektive Verteidigung einseitig sozialisationstheoretischer und männlichkeitskritischer Ansätze dar.
Die von unabhängigen Einrichtungen erzielten dramatischen Ergebnisse zur Bildungssituation von Jungen werden relativiert. Bedürfnisorientierte und motivationale Ansätze zur Jungenförderung bleiben völlig unberücksichtigt.
Doppelmoral in der Rollenbilddiskussion
Jetzt, da der Handlungsbedarf im Bereich der Jungenförderung offensichtlich ist, wird in der Diskussion häufig kurzerhand die Schuld den Jungen selbst zugewiesen und die Behauptung in den Raum gestellt, Jungen seien zu wenig offen für neue Rollenbilder. Dies ist äußerst zynisch und verdreht die Realitäten.
Denn es waren die politisch Verantwortlichen, die von Beginn an Jungen aus dem größten geschlechterspezifischen Förderprojekt aller Zeiten, das zudem das Berufswahlspektrum und damit die Rollenbilder auf geschlechtsuntypische Berufe erweitern will, gezielt und bewusst ausschlossen – den Zukunftstag.
Außerdem sind es ja die Gesellschaft und Politik, die auf die Annehmlichkeiten archaischer Männerrollenbilder – z. B. männliche Zwangsdienstarbeitskräfte im militärischen und sozialen Bereich – nicht verzichten wollen.
So beschränkt sich die heutige staatlich subventionierte „Jungenförderung“ i. d. R. darauf, Jungen zu einer kritischen, ablehnenden Haltung gegenüber ihrer Männlichkeit zu erziehen und in Putz- und Bügelkursen zu tüchtigen Hausmännern zu machen. Und dies, obwohl alle unabhängigen Schulleistungsstudien zeigen, dass Jungen primär Bildungsförderung brauchen.
Eine solche Art der „Jungenförderung“ ist jedoch keine echte Jungenförderung, sondern eine profeministisch-ideologisch inspirierte Umerziehung von Jungen, die jungentypische Verhaltensweisen pauschal als defizitär einstuft und somit eine Jungen abwertende Gesellschaft fördert.
Kein Problem mit Zwangsdiensten
Jungen zu mehr Selbstständigkeit im Haushalt zu verhelfen, ist ohne Frage sinnvoll. Jungen allerdings exakt die Tätigkeiten als „coole“ Zukunftsperspektiven zu verkaufen, die umgekehrt als Beleg für die Diskriminierung der Frau gelten, ist äußerst fragwürdig.
Diese verkürzte Rollenbilddiskussion wird auch daran erkennbar, dass Jungen zwar dort ihre archaischen Rollenbilder aufgeben sollen, wo sie aus diesen Rollenbildern Vorteile ziehen. So sollen sich z. B. Jungen nicht mehr auf gut dotierte und angesehene Berufe konzentrieren, sondern sich mehr für schlecht bezahlte und schlecht angesehene Berufe entscheiden.
Die Bereiche jedoch, in denen Jungen auf Grund archaischer Rollenbilder Nachteile erleiden, bleiben in der Rollenbilddiskussion ein Tabuthema. So haben z. B. auch die Anhänger der Rollentheorie überhaupt kein Problem mit der einseitigen Männerzwangsdienstkultur (Männerwehrpflicht und Männerzivildienst).
Tabuthemen
Auch das vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mehrfach kritisierte und beanstandete, Väter diskriminierende Sorge- und Umgangsrechtswesen in Deutschland ist in der Rollenbilddiskussion ebenso ein Tabuthema wie das Thema Gewalt gegen Jungen und Männer. Dabei wäre gerade die Stärkung der Vaterrolle ein Bereich, der bei einer ehrlichen Rollenbilddiskussion ein Hauptanliegen sein müsste.
Und obwohl zwei Drittel aller Gewaltopfer Jungen und Männer sind, werden männliche Gewaltopfer aus der geschlechtersensiblen Gewaltopferbetrachtung ausgeschlossen. Sie werden nicht als Opfer wahrgenommen, sondern lediglich als Versager ihrer Männlichkeit gesehen. Auch daran will die Rollenbilddiskussion nichts ändern.
Zu Verlierern gemacht
Weiterhin gibt es derzeit länderabhängig einen Mangel an Fachlehrern. Zudem werden bis zum Jahr 2013 zusätzlich 40 000 Erzieher benötigt. Während in technischen Berufsbereichen speziell Mädchen für diese Berufe angeworben werden, bleibt eine ähnliche Initiative, gezielt Jungen für diese Berufe zu interessieren, aus.
Selbst in den stattfindenden Boys-Days werden diese Berufsbereiche häufig ausgeblendet.
Auch auf der Homepage des neuen Referates „Gleichstellungspolitik für Jungen und Männer“ des Bundesfrauenministeriums mit Stand vom 10.04.2010 sollen Jungen lediglich für Pflegeberufe und Dienstleistungsberufe gewonnen werden, nicht jedoch für erzieherische oder pädagogische Berufe.
Dies zeigt deutlich, dass es bei der Rollenbilddiskussion nicht um eine echte Emanzipation von Jungen geht, sondern ihnen sollen lediglich die Verliererkomponenten verschiedener Rollenbilder aufgebürdet werden.
Sozialisationstheorie als alleingültiges Paradigma
Immer noch werden die wissenschaftlichen Belege, z. B. aus der Evolutionstheorie und Entwicklungspsychologie oder der modernen Hirnforschung, relativiert, die zeigen, dass geschlechtstypische Verhaltensweisen und Interessen keineswegs ausschließlich anerzogen sind. Stattdessen gilt nach wie vor in der politisch geförderten Jungenarbeit die Sozialisationstheorie als allein diskussionswürdiger Erklärungsansatz.
Die Sozialisationstheorie ist eine wichtige sozialwissenschaftliche Theorie, welche mit dem Ziel verbunden ist, den „Prozess der Entstehung und Entwicklung der Persönlichkeit in wechselseitiger Abhängigkeit von der gesellschaftlich vermittelten sozialen und dinglich materiellen Umwelt einerseits und der biophysischen Struktur des Organismus andererseits“ zu beschreiben und zu erklären.
Ideologisch instrumentalisiert
Dieser Theorie liegen allerdings gewisse Einseitigkeiten und Vereinfachungen dort zugrunde, wo sie mit dem Anspruch verwendet wird, die bestimmenden Faktoren für die Herausbildung der Persönlichkeit des Menschen und seines Verhaltens beschränkten sich auf Gesellschaft und Kultur, denen gegenüber biologischen Einflussfaktoren keine (wesentliche) Bedeutung zukomme und die unterschiedliche Psychologie beider Geschlechter außer Acht lässt.
Besonders fatal ist es, wenn die Sozialisationstheorie instrumentalisiert wird, um ein ideologisch vorgefasstes Schubladendenken mit Geschlechterstereotypen von weiblichem Opfergeschlecht einerseits und männlichem Tätergeschlecht andererseits zu rechtfertigen und zu kolportieren.
Anstatt die Sozialisationstheorie als einen Erklärungsansatz von vielen zu berücksichtigen, errang sie in der erziehungs- und sozialwissenschaftlichen Diskussion, aber auch in der Pädagogikwissenschaft eine Art Monopolstellung.
Schlechte Basis
Über die vergangenen Jahrzehnte hat sich eine Jungenarbeit etabliert, die vorrangig ein negatives, defizitäres Jungenbild kolportiert. Ein solch negatives Jungenbild ist natürlich eine äußerst schlechte Basis für eine Jungenförderung. Wie widersprüchlich eine nicht-identitäre Jungenarbeit ist, kann man an Folgendem erkennen:
Trotz der Behauptung, „Geschlecht“ wäre rein konstruiert und nicht von der Biologie abhängig, haben diejenigen, die dies behaupten, kein Problem damit, Kinder und Jugendliche bei Förderprojekten wie dem Zukunftstag oder der MINT-Förderung nach biologischem Geschlecht einzuteilen, wer teilnehmen darf und wer nicht.
Wer dies testen will, möge seinen Sohn einmal auf einen Praktikumsplatz für Mädchen am Zukunftstag bewerben lassen mit dem Hinweis, man solle sich vom Geschlechtsteil nicht irritieren lassen, das Kind sei zum Mädchen erzogen worden.
Unterschiedliche Entwicklung eindeutig belegt
Das Bundesjugendkuratorium behauptet, es gäbe keine ausreichenden Hinweise für eine unterschiedliche Entwicklung von Mädchen und Jungen im Vorschulbereich.
Wie das Bundesjugendkuratorium zu dieser Schlussfolgerung gelangt, ist rätselhaft. Die Auswertung der ärztlichen Schuleingangsuntersuchungen, z. B. in Baden-Württemberg oder in Brandenburg, zeigen eindeutig, dass sich Jungen im Bereich Motorik und Sprachfähigkeit tendenziell langsamer entwickeln als Mädchen.
Die Untersuchungen in Baden-Württemberg haben gezeigt, dass fast 60% der Jungen zum Zeitpunkt der Einschulung erhebliche Defizite in mindestens einer wichtigen schulischen Grundkompetenz aufweisen. Fast doppelt so viele Jungen wie Mädchen landen auf den Sonderschulen.
Auch dies belegt die signifikanten geschlechtertypischen Unterschiede beim Entwicklungsstand und der Bildungsnachteile von Jungen und Mädchen zum Zeitpunkt der Einschulung und in der Bildungsbeteiligung.
Es verwundert, dass diese Erkenntnisse den Fachleuten des Bundesjugendkuratoriums bislang verborgen geblieben sind.
Entlarvend
Diese Entwicklungsunterschiede sind eben nicht anerzogen, sondern biologisch gegeben. Hier müsste eine gezielte Förderung von Jungen schon im Vorschulbereich einsetzen, wenn man Jungen gleiche Chancen beim Start in die Schule geben wollte. Stattdessen endet die Politik der Chancengleichheit exakt an dem Punkt, an dem die Nachteile und Benachteiligungen von Jungen und Männern beginnen.
Die Aussage der ehemaligen Bundesjugendministerin Ursula von der Leyen aus der „Berliner Zeitung“ vom 29.09.2006 ist diesbezüglich eindeutig: „Ich finde es nicht schlimm, dass Mädchen in Sachen Bildung an den Jungen vorbeiziehen.“
Misserfolge der Jungen sind politisch gewollt
Es verwundert nicht, dass das Bundesjugendkuratorium in seiner Stellungnahme auf Seite 27 im Grunde zu der gleichen Ansicht gelangt wie die Ministerin, die diese Stellungnahme in Auftrag gegeben hat: „Die Erfolge der Schülerinnen im Bildungssystem in den vergangenen Jahrzehnten sind als Ermutigung zum Abbau von geschlechtsspezifischen Ungleichheiten zu betrachten.“
Hier wird nochmals deutlich, dass die vom Bundesjugendkuratorium kritisierte Verkürzung auf die Jungensituation nicht nur nicht existiert, sondern in der realen Bildungs- und Jugendpolitik sogar in die andere Richtung, nämlich ausschließlich in Richtung auf die Mädchensituation besteht. Die zunehmenden Bildungsmisserfolge von Jungen und die zunehmende Arbeitslosigkeit von männlichen Jugendlichen und jungen Männern werden nicht als Problem gesehen, sondern als positive Rückmeldung einer Geschlechterpolitik verstanden, die sich auch heute noch ausschließlich auf die „Frauenfrage“ beschränkt.
Die gesamte MANNdat-Analyse zur Stellungnahme des Bundesjugendkuratoriums findet sich unter http://www.manndat.de/fileadmin/Dokumente/Studien/Studie_Verharmlosung_Bildungsmisserfolge.pdf