[Zeit, 2010]
Bei der Förderung von Mädchen sei viel erreicht worden, sagt die Familienministerin. Jetzt ist das andere Geschlecht an der Reihe
Die ZEIT: Frau Schröder, werden Sie bald den Namen Ihres Ministeriums verändern?
Kristina Schröder: Warum?
ZEIT: Es heißt Ministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend. Da fehlen die Männer.
Schröder: An einen Namenswechsel ist nicht gedacht. Richtig ist aber, dass diese Regierung erstmals ausdrücklich eine Jungen- und Männerpolitik betreiben wird.
ZEIT: Weshalb?
Schröder: Einmal, weil eine moderne Familienpolitik ohne die Männer nicht funktioniert. Zum anderen wissen wir, dass nicht mehr wie früher Mädchen, sondern Jungen die Problemkinder sind. Sie bleiben häufiger sitzen, sind öfter ohne Ausbildung, machen seltener Abitur. Die Aufgabe von Politik muss sein, diese Benachteiligung abzubauen. Bei Mädchen haben wir viel erreicht, jetzt wollen wir bei den Jungen genauso viel erreichen.
ZEIT: Was gedenken Sie zu tun?
Schröder: Das schlechtere Abschneiden von Jungen liegt unter anderem daran, dass Kindergärten und Schulen weiblich dominiert sind. In den Kitas sind nur drei Prozent der Erzieher Männer.
ZEIT: Was soll daran schlecht sein?
Schröder: Ich glaube nicht, dass Erzieherinnen oder Lehrerinnen Jungen bewusst benachteiligen, etwa ihnen schlechtere Noten erteilen. Tatsache aber ist, dass viele Jungen ohne Männer aufwachsen. Ihnen fehlen damit realistische Vorbilder. Mitunter entwickelt sich daraus ein Kult um Männlichkeit, der sogar Gewalt idealisiert.
ZEIT: Das sind Extremfälle.
Schröder: Die machen uns aber große Sorgen. In der Machokultur, die wir bei einigen Migranten, aber auch zum Beispiel bei rechtsextremen Jugendlichen finden, herrscht oft die Meinung vor, ein Mann dürfe seine Frau schlagen oder er muss seine Ehre mit Gewalt verteidigen. Auf diese falschen Männlichkeitsvorstellungen muss Jungenförderung eine Antwort finden.
ZEIT: Jungenpädagogen warnen schon heute davor, dass Jungen heute nicht mehr Jungen sein dürfen.
Schröder: Jungen haben ein natürliches Bedürfnis, ihre körperlichen Kräfte zu messen, also zu toben und zu kämpfen. Nicht jede Rauferei muss man deshalb gleich mit einem Streitschlichter unterbinden. Ebenso sehe ich in vielen pädagogischen Einrichtungen die Gefahr, das stärker angepasste Verhalten von Mädchen als Norm zu betrachten. Man sollte die latent größere Aggressivität von Jungen aber in vernünftige Bahnen lenken.
ZEIT: Wie zum Beispiel?
Schröder: In Offenbach gibt es ein Projekt namens »Hart aber fair – Boxclub Nordend«, bei dem Jungen das Boxen trainieren und gleichzeitig Regeln und Disziplin üben. Daneben erhalten sie Hausaufgabenhilfe. Das kommt enorm gut an.
ZEIT: Wo sollen die Erzieher herkommen?
Schröder: Gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit wollen wir arbeitslose Männer zu Erziehern umschulen. In Brandenburg haben wir damit gute Erfahrungen gemacht. Da gibt es ehemalige Handwerker, deren Fähigkeiten heute Kitas nutzen. Diese neuen Erzieher werden sogar von anderen Bundesländern abgeworben.
ZEIT: Schreckt nicht eher die schlechte Bezahlung in pädagogischen Einrichtungen die Männer ab?
Schröder: Darüber müssen wir ebenfalls sprechen. Allerdings muss man wissen, dass auch die Bezahlung von Kfz-Mechatronikern nicht wesentlich besser ist. In der Kita oder in der Grundschule muss man natürlich auch Karriere machen können. Dafür ist es notwendig, dass wir die Berufsausbildung zum Erzieher aufwerten – zum Beispiel durch ein aufsetzendes Fachhochschulstudium.
ZEIT: Wie wollen Sie die Jungen gewinnen?
Schröder: Zum Beispiel durch einen Boys Day, den wir ab 2011 parallel zum Girls Day anbieten. Seit zehn Jahren versuchen wir an diesem Tag, Mädchen für frauenuntypische Berufe zu gewinnen. Doch auch Jungen lassen sich bei der Berufswahl noch immer stark von Stereotypen leiten. Dabei werden die traditionellen Männerberufe, in denen es auf Kraft oder handwerkliche Fähigkeiten ankommt, immer weniger. Die Zukunft liegt in den Dienstleistungen – gerade auf dem sozialen Feld, das bislang von Frauen beherrscht wird, zum Beispiel in der Altenpflege.
ZEIT: Wie muss sich die Schule stärker auf die Bedürfnisse von Jungen einstellen?
Schröder: Lehrer müssen die Interessen von Jungen besser berücksichtigen. Denn die lesen oft lieber Abenteuerbücher oder Sachtexte als Geschichten, in denen es um Beziehungen oder Tiere geht. Ebenso kann es zu einer geschlechtersensiblen Pädagogik gehören, Jungen und Mädchen in einzelnen Fächer zeitweise getrennt zu unterrichten. Aber darüber sollten wir uns erst Gedanken machen, wenn es dafür wissenschaftliche Belege gibt.
ZEIT: Hatten Sie schon einmal das Gefühl, es als Mädchen oder Frau schwerer zu haben?
Schröder: Nein, weder in der Schule noch im Studium. Mittlerweile werden Frauen auch in der Politik in allen Parteien meist mit offenen Armen empfangen. Auch weil man denkt, dass Frauen bei Wählern besonders gut ankommen.
ZEIT: Ist der Feminismus als Projekt also passé?
Schröder: Ich habe einen Feminismus, der Männern den Kampf ansagt, immer kritisch gesehen. Ebenso wenig glaube ich an die These von Simone de Beauvoir, dass man nicht zur Frau geboren, sondern erst dazu gemacht wird. Dennoch profitiert meine Generation von vielem, was Frauen erkämpft haben. Anders als früher glaube ich auch, dass eine Frauenquote manchmal notwendig ist. Zum Beispiel in meiner Partei, der CDU. Da nennt sich das zwar Quorum, ist aber eine Art weicher Quote.
ZEIT: Und in der Wirtschaft?
Schröder: Da setzte ich auf Freiwilligkeit und Wettbewerb. Firmen, die sich wie die Telekom zu einem höheren Frauenanteil verpflichten, haben meine Sympathie. Für mich zeichnet eine fortschrittliche Unternehmenspolitik aus, die Stärken beider Geschlechter zu nutzen.
ZEIT: Was können Frauen besser?
Schröder: Sie sind meist lösungsorientierter und pragmatischer. Auch das Prinzip »Es wurde schon alles gesagt, nur nicht von mir« scheint mir eher eine männliche Erfindung.
ZEIT: Ist Angela Merkel ein Beispiel für weibliches Führungsverhalten?
Schröder: Ja, gerade wenn man sie mit dem eher machohaften Gerhard Schröder vergleicht. Die Kanzlerin ist keine Selbstdarstellerin.
ZEIT: Wo sehen Sie Frauen noch benachteiligt?
Schröder: In Teilen der Wirtschaft, wobei Frauen teilweise selbst daran schuld sind, dass sie zwar die besseren Noten bekommen, aber nicht die besseren Jobs. Bei Gehaltsverhandlungen tendieren sie zum Beispiel dazu, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen. Und sie sind zu zurückhaltend, wenn Führungspositionen besetzt werden. Sie warten lieber darauf, dass sie gefragt werden. Doch bis das geschieht, haben schon fünf Männer die Hand gehoben. Frauen sollten da selbstbewusster sein.
ZEIT: Vielleicht wollen Frauen nicht rund um die Uhr präsent sein, was hierzulande von vielen Führungskräften immer noch verlangt wird.
Schröder: Diese anachronistische Unternehmenskultur gibt es noch. Wer Verantwortung für seine Familie spürt, kann sich das nicht leisten – egal ob Mann oder Frau. Dennoch sehe ich etwas aufbrechen. Selbst in Anwaltskanzleien oder Unternehmensberatungen, wo die Präsenzkultur bislang großgeschrieben wurde, achtet man stärker auf Familienfreundlichkeit. Trotzdem würde ich mir wünschen, dass mehr Männer, wenn ein Meeting auf 19 Uhr angesetzt wird, sagen: Das geht nicht, da habe ich einen Termin – und zwar mit meinen Kindern.