Männer als Grundschullehrer sind eine Seltenheit. Ein Besuch an einer Hamburger Grundschule, wo sich zwei Männer nicht von Vorurteilen abschrecken lassen
Nils Schuler gibt alles. Der Mann im fliederfarbenen Hemd macht vier Schritte nach vorne, vier nach hinten und hüpft in die Luft. Die Kinder stehen in Viererreihen und warten auf ihren Einsatz. Nils Schuler ist Grundschullehrer. An diesem Morgen unterrichtet er Musik und Motorik, er gibt aber auch Sport, Mathe und Deutsch in den Klassen eins bis vier. Schuler macht einen Job, für den sich nur wenige Männer interessieren. In Zahlen kommen nach Angaben des statistischen Bundesamtes auf 73.578 Frauen 19.106 Männer. Das sind 20,6 Prozent. Zum Vergleich: An Gymnasien sind es fast 60 Prozent, also mehr Männer als Frauen.
Kinder wachsen bis zu den weiterführenden Schulen überwiegend unter Frauen auf. Einer, der diesen Zustand für wenig erbaulich hält, ist der Vorsitzende des Deutschen Lehrerverbandes Josef Kraus. Er sagt: „Das Phänomen kann dazu führen, dass manche zum ersten Mal im Alter von zwölf Jahren mit einem Mann konfrontiert werden. Dabei könnten männliche Grundschullehrer schon viel vorher den Defiziten entgegenwirken, die Kinder aus der Familie mitbringen.“
Forscher aus Großbritannien halten nicht so viel von der These, die gerne mit „Feminisierung der Grundschulen“ überschrieben wird. 2005 befragten Carrington, Tymms und Merrell rund 9.000 zehn- bis elfjährige Grundschüler mit dem Ergebnis: „Vergesst Gender! Ob eine Lehrkraft männlich oder weiblich ist, spielt keine Rolle.“ Sie sagen, dass es sich nicht signifikant auf die Leistung von Jungen und Mädchen auswirke, ob ein Mann oder Frau an der Tafel stehe.
In der Tat gibt es keine Studie, die bestätigt, dass Frauen schlecht für die Entwicklung von Jungs und Mädchen in diesem Alter seien. Allerdings kommt eine andere britische Befragung unter 803 Grundschülern zu folgendem Ergebnis: Drei Viertel der Jungen gaben an, dass sie es gut fänden, sowohl von männlichen als auch von weiblichen Lehrkräften unterrichtet zu werden.
Männer wollen in die Großstädte
Wenn Nils Schuler in der Pause ins Lehrerzimmer seiner Schule in Hamburg geht, trifft er dort auf sechs Männer und 14 Frauen. Der Männeranteil ist höher als an anderen Schulen. Das liegt daran, dass viele Männer nach dem Studium in die Großstädte wollen. „Den Job in einer großen Stadt empfinden viele als einen beruflichen Anreiz“, sagt Josef Kraus. Wenn Schuler seine männlichen Kollegen beschreibt, fallen ihm Begriffe wie anpackend und bodenständig ein. Starke Persönlichkeiten seien aber auch die Frauen. Schuler ist ein Typ, der eigentlich nicht in starren Männer-Frauen-Kategorien denkt. Doch geht es um seinen Job, sagt er: „Männer sind an dieser Schule extrem wichtig.“
Manchmal hat Meisenburg nicht alles im Griff. Einige der Schüler kommen unregelmäßig zum Unterricht, verpassen Buchstaben im Alphabet, die wichtig sind, um irgendwann lesen zu können. Meisenburg muss in so einem Fall das Jugendamt benachrichtigen. Auch wenn Kinder zuhause geschlagen werden, alarmiert der Pädagoge das Amt. Er geht aber auch selbst in die Familien, spricht über Probleme und gibt Eltern Tipps für einen ritualisierten Alltag. In den Familien mit Migrationshintergrund, hat er die Erfahrung gemacht, dass die Väter eher auftauen und reden, wenn er vor der Tür steht. Viele besuchen dann auch die Elternsprechstunden. Meisenburg versucht zu helfen und muss dabei Distanz bewahren. „Ich nenne das Psychohygiene“, sagt er, „der Job ist toll, du darfst keine Berührungsängste haben, aber wenn du zu sehr einsteigst, sitzt du abends zuhause am Küchentisch und heulst.“
Der Erziehungswissenschaftler Wolfgang Bergmann arbeitet in seinem Institut für Kinderpsychologie und Lerntherapie in Hannover auch mit Kindern im Grundschulalter. Besonders beschäftigt er sich mit den Problemen von Jungen, zu ihm kommen Schüler mit Lernschwächen, ADHS oder psychischen Problemen. Auch betreut er auffällige Kinder aus türkischen und russischen Familien. Geht es um Lösungen, misst der Autor von Kleine Jungs, große Not gerade Männern an Grundschulen eine große Bedeutung zu: Jungen sehnten sich nach einem väterlichen Lehrer. Typ gestandener Handwerker.
Lust auf Basteln und Singen
Schuler kommt diesem Typus nahe, er sagt zum Beispiel Sätze wie „Jungen brauchen Räume“ und tobt sich am Nachmittag mit ihnen beim Mannschaftssport in der Halle aus. Aber Schuler sieht sich dabei nicht als spezieller Ansprechpartner für die Jungen. „Für die Mädchen bin ich genauso da“, sagt er. 28 Stunden unterrichtet er in der Woche, nicht eingerechnet ist dabei der Aufwand für die Vorbereitung des Unterrichts. Der ist manchmal vielleicht sogar höher als in anderen Schulformen, dafür fallen die Korrekturen weg, die zum Beispiel einen Großteil der Arbeit eines Gymnasiallehrers ausmacht. „Als Grundschullehrer musst du selbstverständlich auch Lust auf Basteln und Singen haben und didaktisch fit sein“, sagt er.
Schuler hat die Erfahrung gemacht, dass gerade Männer seinen Beruf unterschätzen. Er erzählt von Partys und arroganten Bemerkungen, wenn er auf die Frage antwortet, was er beruflich mache. In der Tat ist es das geringe Prestige und die Bezahlung, die so wenig Männer an die Grundschulen treibt. Grundschullehrer werden als Beamte nach der Besoldungsgruppe A12 bezahlt. Das monatliche Einstiegsgehalt beträgt brutto gut 2.700 Euro und kann im Laufe der Jahre auf gut 3.700 Euro steigen. Grundschullehrer müssen ein Lehramtstudium samt zweijährigem Referendariat absolvieren. Das ist an Universitäten, aber auch an Pädagogischen Hochschulen möglich und dauert sechs bis neun Semester. Einige Hochschulen bieten auch Bachelor- und Masterstudiengänge an.
„50 Prozent Männer an Grundschulen, das wäre ideal“, sagt Josef Kraus. Dass das utopisch ist, weiß er auch. Viele Lehramtsstudenten denken nach wie vor karriereorientiert und sehen die Grundschule als Sackgasse, weil nur einer hoch hinaus kommt: der Schulleiter. Eine größere Akzeptanz für den Beruf wünscht sich daher nicht nur Schuler: „Viele laufen mit der Auffassung durchs Leben, kleine Kinder seien Frauensache“, sagt er. „Denen möchte ich einfach beweisen, dass es anders ist.“